Beweislastumkehr: Erst einmal genau hinschauen

Weitere Informationen und Services von AUTOHAUS zum Thema: Playlist: "Steuer- und Rechtsthemen" Die gefürchtete Beweislastumkehr ist in § 477 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Seit den umfangreichen Neuerungen im Verbraucherkaufrecht, angestoßen durch europäische Vorgaben, ist der Zeitraum der Beweislastumkehr in Deutschland von den ursprünglichen sechs Monaten auf ein Jahr ab Übergabe ausgedehnt worden (bei digitalen Elementen sogar über die gesamte Dauer der Bereitstellung beziehungsweise auf mindestens zwei Jahre ab Übergabe). Das ist natürlich für die Händler nicht schön. Viele gruseln sich jedoch vor dem "Schreckgespenst" Beweislastumkehr, ohne hinterfragt zu haben, was genau die Beweislastumkehr eigentlich bedeutet und in welchen Situationen man es überhaupt mit dieser zu tun bekommt. Schaut man sich das genauer an, verliert die Beweislastumkehr zumindest einen Teil ihres Schreckens. In einem einzigen Verhältnis geltend Die Beweislastumkehr gilt immer nur im Verhältnis B-2-C (Business-to-Consumer), also Unternehmer verkauft an Verbraucher (Privatperson). In allen anderen Konstellationen, somit also: B-2-B, C-2-B und C-2-C, gilt die Beweislastumkehr nicht. Verkauft also beispielsweise ein Unternehmer an einen anderen Unternehmer ein Neu- oder Gebrauchtfahrzeug, hat er mit der Beweislastumkehr nichts zu tun. Auch im Verhältnis B-2-C greift die Beweislastumkehr aber nur in einer einzigen Konstellation, was häufig übersehen wird. Hierzu muss man den Hintergrund der Beweislastumkehr kennen: Grundsätzlich ist nach der Zivilprozessordnung (ZPO) jede Partei für die deren Anspruch begründenden Tatsachen nicht nur darlegungspflichtig, sodass sie diese also behaupten muss. Sie muss, wenn die Gegenseite die Tatsachen bestreitet, diese auch beweisen können. Sie ist also beweisbelastet. Dabei bedeutet Beweislast, dass Zweifel zulasten der beweisbelasteten Partei gehen. Wenn das Gericht die Wahrheit somit nach der Vernehmung von Zeugen oder Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zur Überzeugung feststellen kann, wird schlicht geschaut, wer in der jeweiligen Konstellation beweisbelastet ist und es ergeht eben dann eine sogenannte Beweislastentscheidung zu deren Lasten. Wenn der Käufer also einen Mangel am verkauften Fahrzeug behauptet, muss er diesen nicht nur darlegen, sondern, wenn der Händler den Mangel bestreitet, ihn auch zur Überzeugung des Gerichts beweisen. Dies ist beim tatsächlichen Vorliegen eines Mangels für den Käufer in der Regel relativ leicht und manchmal sogar unstreitig. Der Käufer hat aber hinsichtlich des Mangels dann noch etwas Zweites darzulegen und zu beweisen, nämlich dass der Mangel bereits bei Übergabe zumindest im Keim schon vorhanden war (wenngleich sich auch die Symptome eben hierbei noch nicht unbedingt gezeigt haben müssen). Denn natürlich haftet der Händler nicht für Mängel, deren Ursache sich erst nach Übergabe zu entwickeln begonnen hat, die also quasi erst nach Übergabe eines einwandfreien Fahrzeugs "angeflogen" kamen. Plakatives Beispiel: Erleidet das Fahrzeug nach Übergabe, aber noch innerhalb der Gewährleistungsfrist einen Steinschlag in der Windschutzscheibe, mag man dies zwar als Mangel innerhalb der Gewährleistungsfrist betrachten. Dies ist jedoch selbstverständlich dennoch nichts, wofür der Händler automatisch im Sinne der verschuldensunabhängigen Gewährleistung (heute sogenannte Sachmängelhaftung) zu haften hätte. Diese zweite Frage, nämlich ob der Mangel bei Übergabe zumindest ansatzweise bereits vorhanden war, lässt sich im Nachhinein häufig auch durch vom Gericht auf Antrag hinzugeholte vereidigte Sachverständige nur schwierig beweisen. Häufig bestätigen diese dann zwar den Mangel als solchen, müssen jedoch letztlich offenlassen, ob dieser nun bereits bei Übergabe vorhanden war oder sich erst nach Übergabe zu entwickeln begonnen hatte. Dann verliert nach dem dargestellten allgemeinen Grundsatz der Käufer den Prozess. Mangel schon in sich getragen? Hier hatte nun der Gesetzgeber dem Verbraucher eine Beweiserleichterung zur Verfügung gestellt, welche zunächst sechs Monate ab Übergabe betrug und seit dem 1. Januar 2022 ein Jahr (bei digitalen Elementen noch länger): Nur in dieser Konstellation stellt das Gesetz die Vermutung auf, dass Dinge, die sich in einem derart "kurzen" Zeitraum nach Übergabe bereits als mangelhaft zeigen, wahrscheinlich diesen Mangel bereits bei Übergabe in sich getragen haben. Da jede gesetzliche Vermutung mit einer Beweislastumkehr einhergeht, muss also nun bei einem sogenannten Verbrauchsgüterkauf, wenn ein Unternehmer ein Fahrzeug an einen Verbraucher verkauft hat, im ersten Jahr nach Übergabe der Händler - wenn er nicht helfen will - beweisen, dass der Mangel noch nicht bereits zumindest im Keim bei Übergabe vorlag, sondern sich später entwickelt hat. Zweifelt nun der gerichtlich eingesetzte vereidigte Sachverständige und mit ihm das Gericht diesbezüglich, gehen diese Zweifel zu Lasten des, wie dargelegt, in dieser Situation beweisbelasteten Händlers und verliert dieser dann dementsprechend den Prozess. Dies ist dann natürlich sehr ärgerlich, allerdings muss man sich klarmachen, dass von der Beweislastumkehrvorschrift nur diese eine Konstellation betroffen ist. Auch beim Verbrauchsgüterkauf kommt es somit nur ausnahmsweise zu einer Situation, in welcher die Beweislastumkehr ausschlaggebend ist. Beispielsweise bei einem Fabrikations- oder gar Konstruktionsfehler ist ja klar, dass dieser bereits bei Übergabe vorhanden war, sodass es auf die Beweislastumkehr nicht ankommt. Stellt der gerichtlich vereidigte Sachverständige fest, dass zwar ein Mangel vorliegt, dieser sich aber eindeutig erst nach Übergabe entwickelt hat, weil die "Inkubationszeit" hier nur wenige Tage beträgt, das Fahrzeug aber bereits vor einem dreiviertel Jahr übergeben worden war, wirkt sich die Beweislastumkehrvorschrift ebenfalls nicht aus. Es ist ja dann nicht zweifelhaft, sondern klar, dass der Mangel bei Übergabe noch nicht vorhanden war, und der Kunde verliert den Prozess. Grundsätzlich wirkt die Beweislastumkehr sich auch nicht aus, wenn bereits der Mangel als solcher zweifelhaft ist. Denn diesen hat grundsätzlich nach wie vor der Verbraucherkunde zu beweisen (wobei die Rechtsprechung das mittlerweile etwas aufweicht, wenn zumindest "Mangelerscheinungen" innerhalb der Beweislastumkehrzeit aufgetreten sind). Erst einmal genau prüfen Grundsätzlich ist die Beweislastumkehr lediglich in der einen und einzigen Konstellation relevant, in welcher ein privater Käufer dem verkaufenden Unternehmer zumindest den Mangel als solchen zweifelsfrei nachweisen kann - und auch nachweisen kann, dass der Mangel sich innerhalb des ersten Jahres seit Übergabe gezeigt hat, jedoch nachträglich offenbleibt, ob der Mangel bereits bei Übergabe im Keim schon vorlag oder sich erst später entwickelt hat. Fazit: Gerichtlich aber auch gerade schon vorgerichtlich muss, wenn Kunden und deren Anwälte sich allzu forsch auf die Beweislastumkehr stützen, zunächst einmal genau geprüft und "seziert" werden, ob der Kunde in der gegebenen Situation überhaupt die Früchte der Beweislastumkehrvorschrift im § 477 BGB genießen kann. K. Martin Hake Rechtsanwalt, der sich seit über 30 Jahren schwerpunktmäßig den Gebieten des Autoverkaufs-, Reparatur- und Unfallschadensrechts sowie dem Handelsrecht und auch Verkehrsstraf- und Bußgeldsachen, ferner dem Recht des Forderungsmanagements im Kfz-Bereich widmet. Gemeinsam mit den Anwälten in seiner Kanzlei "Hake Rechtsanwälte" (kontakt@hake-rechtsanwaelte.de) ist er deutschlandweit bei der Beratung sowie außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung insbesondere von Kfz-Händlern und Werkstätten sowie Herstellern und Importeuren im Einsatz. Parallel betätigt sich der Spezialist für Autorecht als Autor von Fachbüchern, Fachbeiträgen in Zeitschriften sowie als Konzeptionist und Dozent unter anderem für die zertifizierten Lehrgänge der Branche rund um das Thema Kfz-Recht. Seine Bücher "Rechtsfragen der Kfz-Werkstatt" (8. Auflage), "Rechtssicherheit beim Autoverkauf" und die Fibel "Forderungsmanagement im Autohaus" sind im Verlag Springer Fachmedien erhältlich. www.hake-rechtsanwaelte.de

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