Stellantis und Volkswagen: Jäger und Sammler

Wenn weiteres Wachstum eines Unternehmens durch Markendehnung schwierig wird, begeben sich Unternehmen gern auf das Feld der Mehrmarkenpolitik. Allerdings führt jede zusätzliche Marke im Portfolio zu zusätzlicher Komplexität. Jede Marke sollte sich daher mit einem unverwechselbaren Profil im Markt behaupten und in den Köpfen der Konsumenten verankern. Sie sollte auf ein klar definiertes Marktsegment abzielen und sich möglichst überschneidungsfrei zu den anderen Marken darstellen. Darüber hinaus sollten alle Marken natürlich Wachstumspotenzial bieten, rentabel sein und zur generellen Unternehmensstrategie passen. Stellantis und Volkswagen in Zahlen Während praktisch alle Autohersteller ihre Markenportfolios reduziert haben, gingen zwei große Player den umgekehrten Weg: Volkswagen und Stellantis wurden "Jäger und Sammler". Volkswagen und Toyota sind mit mehr als neun Millionen verkauften Fahrzeugen im Jahr 2020 die beiden größten Hersteller der Welt; Stellantis mit 5,9 Einheiten befindet sich hinter GM und Hyundai-Kia auf Platz fünf. Da liegen zwischen Volkswagen und Stellantis schon einmal fast 3,5 Millionen Fahrzeuge ( siehe Abb. 1). PSA und FiatChrysler machen in Summe noch einen vergleichsweise ausgewogenen Eindruck, aber regional sieht das ganz anders aus. Während der Volkswagen-Konzern 41 Prozent seines Absatzes in China macht, was schon fast 'Schlagseite' hat, ist Stellantis weder mit FCA noch mit PSA dort wirklich vertreten. Und PSA ist eine rein europäische Veranstaltung. Das ist für Stellantis schon ein sehr ungleichgewichtiges Bild, das Manko in China signifikant. Auch ein Blick auf die Marktanteile in den fünf größten Märkten Europas, USA und China ist interessant ( siehe Abb. 2). Stellantis ist in China praktisch nicht vertreten, die amerikanischen Marken sind mit Ausnahme von Jeep nur in Amerika stark, die europäischen nur in Europa. Peugeot, Citroen, Opel sind in den USA so gut wie unbekannt, Fiat und Alfa Romeo verkaufen dort fast nichts. Chrysler und Dodge sind selbst in den USA schwach. RAM ist mit seinen Pick-ups die Nr. 2 in den USA, diese Fahrzeuge sind aber für Europa völlig ungeeignet. Globale Marken sehen anders aus. In absoluten Zahlen der Marken zeigt sich die Problematik von Stellantis: Keine Marke ist wirklich stark, während die Marken VW und Audi (wie auch im Vergleich BMW und Mercedes-Benz) gewichtige Volumina pro Marke auf die Waage bringen ( siehe Abb. 3). Während die PSA-Marken Peugeot, Citroen, Opel und Vauxhall in allen europäischen Märkten mit relativ breiter Produktpalette positioniert sind, sieht das bei FCA anders aus. Die Marke Fiat ist bekannt für italienische Kleinwagen, aber nur mit zwei Modellen erfolgreich, dem Fiat Panda und vor allem dem Fiat 500/500L. Beide Modelle sind allerdings im renditeschwachen Preisbereich von 15.000 bis 25.000 Euro angesiedelt, einem Segment, das Opel mit den Modellen Adam und Karl gerade aufgegeben hat. Alfa Romeo, eine traditionsreiche und wohlklingende Marke, verkauft in den sieben Hauptmärkten nicht einmal mehr 50.000 Einheiten pro Jahr. In Deutschland wurden 2020 nur 3.246 Neuwagen zugelassen. Wie soll da die Marke überleben? Unter der Marke Lancia werden nur noch in Italien Fahrzeuge verkauft; im Jahr 2020 der Lancia Ypsilon mit 43.000 Einheiten. Das Ende der Marke ist absehbar. Der Gedanke, eine neue Marke als Premiummarke aufzubauen, scheint verlockend und ansteckend. PSA machte DS selbstständig, Volkswagen/Seat die bisherige Submarke Cupra. Man startete behutsam, und die Absatzzahlen sind für beide Marken immer noch enttäuschend. Das ist Marketing mit angezogener Handbremse. Markenprofil und Markenstärke Der Bekanntheitsgrad der etablierten französischen und italienischen Marken ist in Deutschland nicht das Problem, die Markenstärke schon. Misst man die Marken im Positionierungsraum von Qualität und Emotion wie in der Studie 'ESCH. The Brand Consultants', so zählen die Marken VW, Audi, Porsche als überdurchschnittliche "Qualitätsperformer" auch zu den "Top-Performern emotionaler Marken", während sich Fiat, Peugeot, Opel und Skoda nur im "Mittelfeld", Alfa Romeo, Citroen und Seat im Feld der "Low Performer" befinden. Bei der Betrachtung von Markenbekanntheit und Markenimage des Splendid Research Brand Index 2020 sind VW und Opel im obersten Bereich, während die übrigen Marken von Stellantis bestenfalls im Mittelfeld landen. Analysiert man die wichtigsten Attribute für das Markenimage genauer, so ergeben sich die größten Unterschiede bei den Attributen "Attraktivität der Marke" und "Gute Qualität" ( siehe Abb. 4). Während die Marken von VW ein differenziertes Bild bis in die Höchstwerte hinein ergeben, liegen die Marken von Stellantis sämtlich im unterdurchschnittlichen Bereich. Auch im Preis-Leistungs-Verhältnis schneiden die Marken Skoda und Seat deutlich besser ab als alle Stellantis-Marken. Produktpolitische Optionen Die Produktangebote der Marken von Stellantis überlappen sich in Europa erheblich. Acht Marken von Stellantis streben verstärkt in das Segment der kleineren und mittleren SUV. Aber können sich da die Marken und Produkte differenzieren? Die neuen SUV sehen mittlerweile alle sehr ähnlich aus. Wie soll durch SUV-Design Markenprofil entstehen? Natürlich könnte Stellantis auf einer technischen Plattform für acht Marken technisch nahezu identische Fahrzeuge in verschiedenen Größenklassen entwickeln, aber die Marken Opel, Peugeot, Citroen, DS, Fiat, Alfa Romeo und Jeep streiten sich im SUV-Segment um die gleichen Kunden. Das muss zu einer erheblichen Kannibalisierung zwischen den vielen Marken führen und kann nicht dauerhaft sinnvoll sein. Und wo kommen die neuen Kunden für DS her? Die können doch zunächst nur von der Ausgangsmarke Citroen kommen. Damit ist aber nicht viel erreicht. Ein Problem besteht darin, dass Stellantis viele europäische Marken aus vier verschiedenen Herkunftsländern hat. Keines dieser Länder wird auf "seine" Marke, seine Landesidentität, seinen Produktionsstandort verzichten wollen, aber alle Marken durchzuschleppen wird keine Lösung sein. Stellantis in Deutschland 2021 Optimismus im Vertrieb ist immer hilfreich, aber nur, wenn man die Realität nicht aus den Augen verliert. Stellantis feiert sich, weil der Marktanteil bei den Zulassungen im ersten Quartal in Deutschland von zwölf Prozent im Vorjahr auf 13,4 Prozent gestiegen ist. Allerdings verteilt sich dieser Anteil auf sieben Marken. Lässt man den Lokalmatador Opel mit 6,3 Prozent Marktanteil einmal außen vor, dann haben die restlichen sechs Marken einen gemeinsamen Anteil von 7,1 Prozent, also im Durchschnitt 1,2 Prozent. Schaut man noch genauer hin, dann fallen von allen Stellantis-Marken zusammen 71 Prozent der Zulassungen auf Flotten und Rentals sowie auf die Händler selbst und nur 29 Prozent auf Privatkunden. Auf jeden Stellantis-Vertriebsstützpunkt (gerechnet ohne Opel) kommen im Durchschnitt nur etwa 30 zugelassene Neufahrzeuge, an Privat nur etwa elf. Das ist ein ebenso erstaunliches wie erschreckendes Bild. Ob das die "Position der Stärke" ist, die der Stellantis-Landeschef hier sieht? Aber sicher hat er Recht, dass "das Potenzial für weiteres Wachstum groß ist", wenn der Marktanteil der einzelnen Marken so gering ist. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind klar erkennbar, aber das gilt für alle Marken. Starke Marken sind in der Krise widerstandsfähiger. Eigenständige Positionierungen Erfolgreiche Markenpolitik bedeutet, alle Marken müssen in einem Portfolio "eigene Territorien besetzen und eigenständige Markenpositionierungen entwickeln, damit Kunden sie mit relevanten und vom Wettbewerb differenzierenden Kundennutzen verknüpfen können. Ansonsten wären eine oder mehrere Marken im Markenportfolio überflüssig" (Franz-Rudolf Esch, Purpose & Vision, 2021, S. 90). Da bleibt für Stellantis noch viel Arbeit. Volkswagen, basierend auf seinen starken Kernmarken, hat mit den strategisch überflüssigen Marken Bentley, Bugatti, Lamborghini und Ducati vergleichsweise ein Luxusproblem. Dr. Armin Schirmer, langjähriger Manager in der Automobilindustrie, Managementberater, Hochschuldozent für automobiles Marketing

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