Ausgabe 04/2008: Kein K.O.-Kriterium

Wertminderung / Neues Urteil: 100.000 oder mehr Kilometer Laufleistung eines Fahrzeugs schließen die merkantile Wertminderung im Fall eines Unfalls nicht pauschal aus.Kein K.O.-KriteriumAutohaus-Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerKunden stellen im Zusammenhang mit dem Auftrag zur Reparatur von Unfallschäden häufig die Frage nach einer schadensbedingten Minderung des Fahrzeugwertes. Die Beantwortung dieser Frage ist umso schwieriger, je höher die Laufleistung und das Fahrzeugalter sind. Zu berücksichtigen sind ebenfalls der Fahrzeugtyp, die Schadenshöhe und der Pflegezustand des Fahrzeugs. Anhand der jüngeren Rechtsprechung ist festzustellen, dass eine Wertminderung zunehmend auch für ältere und erheblich gebrauchte Fahrzeuge anerkannt wird.Die jüngere RechtsprechungDas Landgericht (LG) Hannover hob mit Urteil vom 14.12.2007 (Az. 9 S 60/07) ein anders lautendes erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Hannover auf und verurteilte einen Unfallschädiger zur Bezahlung einer Wertminderung für einen Polo TDI mit einem Fahrzeugalter von mehr als sechs Jahren und einer Kilometerleistung von über 100.000 km. Die Reparaturkosten für die Behebung des Unfallschadens betrugen über 3.000 Euro. Das AG hatte einen Anspruch auf Wertminderung rein schematisch mit der Begründung verneint, dass bei den vorgenannten Fahrzeugparametern eine Wertminderung grundsätzlich nicht in Betracht käme. Das AG entschied hierbei unter Berücksichtigung eines Urteils des Bundesgerichtshofes vom 18.09.1979, wonach bei Personenkraftwagen im Allgemeinen eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwertes angesetzt werden könne.Dieser Auffassung erteilte das LG eine Absage. Zur Begründung führte es aus, dass die "alte" Rechtsprechung darauf beruhe, dass Fahrzeuge mit einer solchen Laufleistung generell nur noch einen derart geringen Handelswert haben, dass ein messbarer Minderwert nach Behebung der Unfallschäden nicht mehr eintritt. Maßgeblich muss aber nach den Ausführungen des LG nicht allein die Laufleistung des Fahrzeuges sein, sondern deren Bedeutung für die Bewertung des Pkw auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Diese Bedeutung hat sich im Laufe der Zeit mit der technischen Entwicklung und der zunehmenden Langlebigkeit der Fahrzeuge geändert. Insbesondere kommt nach Auffassung des LG bei Dieselfahrzeugen der Laufleistung für die Bewertung des Marktwertes keine so entscheidende Bedeutung mehr zu, wie dies noch in der Vergangenheit der Fall war. Vielmehr ist für den merkantilen Minderwert darauf abzustellen, inwieweit der Unfallschaden im Falle der Weiterveräußerung offenbarungspflichtig ist. Bei einem marktgängigen Fahrzeug wie einem Polo TDI ergibt sich die Offenbarungspflicht allein schon aus der Höhe der Reparaturkosten von über 3.000 Euro. Denn dieser Umstand wird einen Käufer im Falle der Offenbarung des Unfallschadens dazu bringen, eine Herabsetzung des Kaufpreises erzielen zu wollen. Eine merkantile Wertminderung war deshalb im konkreten Fall zuzugestehen.In gleicher Weise urteilte bereits das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg in seiner Entscheidung vom 01.03.2007 (Az. 8 U 246/06). Hier ging es um einen Pkw (Kombi, Diesel), der zum Unfallzeitpunkt dreieinhalb Jahre alt war und eine Laufleistung von 195.648 (!) km aufwies. Für die Reparatur waren Schweißarbeiten am Heckblech, Richtarbeiten im Bereich des Bodenblechs hinten sowie die Erneuerung diverser Anbauteile erforderlich. Art und Umfang der Reparaturmaßnahmen sowie die Höhe der Reparaturkosten machten den Unfallschaden im Falle des Verkaufes auch hier offenbarungspflichtig. Das OLG verurteilte den Unfallschädiger zur Bezahlung einer Wertminderung von 250 Euro und führte gleichfalls ausdrücklich aus, dass eine starre Grenze von 100.000 km Laufleistung für die Zumessung einer merkantilen Wertminderung nicht mehr zeitgemäß ist. Diese Sichtweise hatte auch bereits der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 23.11.2004 (Az. VI ZR 357/03) dokumentiert, wenn auch in dem vom BGH zu entscheidenden Fall eine Wertminderung für einen 16 Jahre alten Pkw mit einer Laufleistung von 164.000 km und einem Wiederbeschaffungswert von 2.100 Euro versagt wurde.Grundsätze des BGHNach den Darlegungen des BGH ist unter dem merkantilen Minderwert "die Minderung des Verkaufswertes zu verstehen, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung des Fahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Fahrzeuge besteht". Diese rechtliche und tatsächliche Einwertung hatte der BGH erstmals mit einer Entscheidung aus 1958 getroffen und in ständiger Rechtsprechung bis heute, zuletzt ausdrücklich mit Urteil vom 23.11.2004, bestätigt. Zum Verständnis der Rechtsauffassung des BGH ist zu bemerken, dass dieser nicht, wie es die Bezeichnung "merkantiler Minderwert" nahe legt, den Schaden in einer den Preis beeinflussenden Reaktion des Marktes sieht. Eine solche "bloße" Reaktion des Marktes würde einen reinen Vermögensschaden darstellen, für den das Gesetz keine Entschädigung gewährt. Deshalb hat der BGH den merkantilen Minderwert dem unmittelbaren Sachschaden zugeordnet: Durch einen Unfall wird die Substanz des Fahrzeugs beschädigt. Die völlige Wiederherstellung des ursprünglichen Fahrzeugzustandes ist auch durch eine perfekte Reparatur nicht zu erreichen, weil im Verkaufsfalle der Verdacht auf verborgene Schäden nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Genau für diese Substanzverletzung, und nicht für die losgelöste Reaktion des Marktes auf einen reparierten Unfallschaden, wird Schadensersatz geschuldet.Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 23. November 2004 hat sich hieran seit 1958 und bis heute nichts geändert. Trotz aller Fortschritte der Reparaturtechnik, insbesondere weil "die technische Entwicklung im Fahrzeugbau insoweit auch höhere Anforderungen stellt", sind verborgene technische Mängel nicht auszuschließen und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge einer eventuell nicht fachgerecht ausgeführten Reparatur bleibt bestehen. Der geneigte Leser möge sich selbst ein Urteil darüber bilden, ob eine derartige generalisierende Aussage in technischer Hinsicht zutreffend sein kann.AusblickZukünftig wird es für den merkantilen Minderwert mehr denn je auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles ankommen. Insbesondere ist nicht allein auf die bloße Laufleistung eines Fahrzeuges abzustellen, sondern maßgeblich auf deren Bedeutung für die Bewertung des Fahrzeuges auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Insbesondere haben hierbei die Aussagen und Bewertungen von ADAC, TÜV, DEKRA, DAT und Schwacke Gewicht. Deren Feststellungen und Notierungen, die inzwischen bis zu einem Fahrzeugalter von bis zu zwölf Jahren zurückgehen und die sich auf unfallfreie Fahrzeuge beziehen, dokumentieren einen Wandel auf dem Gebrauchtwagenmarkt, der für die Wertminderung zu berücksichtigen ist. Auch älteren Fahrzeugen mit hoher Laufleistung kann eine merkantile Wertminderung nicht abgesprochen werden. Maßgeblich bleibt allerdings, dass nicht lediglich ein Bagatellschaden vorliegt.Rechtsanwalt Rainer Boppkanzlei@raehaug-partner.de

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