Nutzungsausfall: Keine abstrakte Entschädigung

Des Deutschen liebstes Kind - das Auto - dient der Mobilität, dem Prestige, dem Vergnügen, dem reinen Transport, der Erzielung von Einkommen. Das Auto wird gepflegt und behütet. Für Unfallschäden hat der Unfallverursacher - selbstverständlich - vollständig aufzukommen. In keinem anderen europäischen Land haben sich so umfangreiche und teils spezielle Schadensersatzpositionen etabliert wie in Deutschland. Dies gilt namentlich für die Nutzungsausfallentschädigung, die der Unfallschädiger dem Geschädigten dafür zu zahlen hat, dass ein unfallbeschädigtes Fahrzeug für die Dauer der Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht zur Verfügung steht. Nur in sehr wenigen anderen EU-Ländern wird ein solcher Nutzungsausfall als Schadensersatzposition anerkannt. Spielte die Nutzungsentschädigung in der weiter zurückliegenden Vergangenheit zunächst nur für eine private Gebrauchsentziehung eine Rolle, so versuchten nachfolgend auch Unternehmen, für gewerblich genutzte Fahrzeuge eine Nutzungsentschädigung zu erlangen. Zuletzt entschied der BGH mit Urteil vom 06.12.2018 (VII ZR 285/17) über den Nutzungsausfall für gewerblich genutzte Fahrzeuge.Rechtskonstruktion NutzungsausfallAngesichts des in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts rapide anwachsenden Straßenverkehrs und der unfallbedingt sich ergebenden vielfachen Schadensersatzprozesse befasste sich der BGH bereits 1963 mit dem Rechtskonstrukt des Nutzungsausfalls (Urteil vom 30.09.1963 - Az. III ZR 137/62). Es war die Frage zu beantworten, ob die Entziehung des Gebrauchs eines Fahrzeugs eine finanziell zu berücksichtigende Schadensersatzposition darstellen kann. Nachdem es keine spezialgesetzliche Regelung zum Nutzungsausfall gibt, hatte der BGH deshalb für die Beurteilung des Nutzungsausfalls auf allgemeine Rechtsgedanken zum Schadensersatzrecht zurückzugreifen. Die Zentralnorm des § 249 BGB bestimmt in Abs. 1 lediglich Folgendes: "Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre." Nun ist ein Nutzungsausfall aber kein eigentlicher "Zustand" im Definitionssinne.Materieller/immaterieller SchadenDemgemäß argumentierten die Gegner der Rechtskonstruktion eines Nutzungsausfalls damit, dass der Gebrauchsentzug eines Kraftfahrzeugs lediglich eine gefühlte Beeinträchtigung und ein Ärgernis darstellt, jedoch keinen materiellen und konkreten Vermögensschaden. Sie führten § 253 BGB ins Feld, der ausführt: "Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden." Die Gegner des Nutzungsausfalls wiesen diesen also einem immateriellen Schaden zu - und nachdem der Nutzungsausfall nicht eigens gesetzlich geregelt war (und noch immer nicht ist), konnte nach dieser Argumentation kein Schadensersatz für einen Nutzungsausfall gefordert werden. Anders der BGH in seiner Entscheidung aus 1963. Der BGH führte aus, dass der Begriff des Schadens kein reiner Rechtsbegriff, sondern ein auf die Rechtsordnung bezogener wirtschaftlicher Begriff ist. Nach dem Schadensersatzrecht hat der Schädiger den Geschädigten wirtschaftlich so zu stellen, wie er ohne den Unfall gestanden hätte. Die Möglichkeit aber, jederzeit und sofort ein Kraftfahrzeug benutzen zu können (Zitat BGH, Urteil a. a. O.), "wird heute allgemein als ein wirtschaftlicher Vorteil angesehen, gleichgültig, ob und wie oft man von dem Wagen Gebrauch macht." Damit wurde dem Nutzungsausfall die Eigenschaft als materieller Vermögensschaden zugewiesen und der Nutzungsausfall als grundsätzliche Schadensersatzposition war höchstrichterlich festgestellt.Nutzungsausfall bei gewerblich genutztem FahrzeugIm Laufe der Zeit stellten sich zum Nutzungsausfall etliche Spezialprobleme: Wird Nutzungsausfall nur bei nachgewiesener Reparatur bezahlt oder auch fiktiv, gibt es Nutzungsentschädigung auch für ältere Fahrzeuge, wird eine Nutzungsentschädigung nur bei Beschaffung eines Ersatzwagens berücksichtigt? Es stellte sich ebenfalls die Frage, ob eine Nutzungsausfallentschädigung für gewerblich genutzte Fahrzeuge zu bezahlen ist. Mit Urteil vom 10.07.1978 (Az. VI ZR 164/75) entschied der BGH, dass für ein Fahrzeug, das unmittelbar der Erbringung gewerblicher Leistungen dient, wie etwa ein Taxi oder ein Transport-Lkw, keine Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen ist. Für solche Fahrzeuge muss der Geschädigte einen Ertragsentgang vielmehr konkret berechnen, will er diesen als Schaden geltend machen. Mit Urteil vom 21.01.2014 (Az. VI ZR 366/13) entschied der BGH, dass bei einem gewerblich genutzten Kfz eine Nutzungsentschädigung nur dann in Betracht kommen kann, wenn durch den Gebrauchsausfall eine "fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung" vorhanden ist. Die Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag für eine solche Beeinträchtigung hat der BGH sehr hoch gesetzt. Mit vorgenannten und weiteren Urteilen hat sich der BGH in der Vergangenheit gegen einen Nutzungsausfall für gewerblich genutzte Fahrzeuge positioniert, ohne ihn allerdings definitiv auszuschließen.Urteil des BGH vom 06.12.2018Auch mit dem jüngsten Urteil vom 06.12.2018 hat der BGH dem Ansinnen, für gewerblich genutzte Fahrzeuge eine Nutzungsausfallentschädigung zu gewähren, eine klare Absage erteilt. In der Sache ging es um die Schadensersatzforderung eines Gewerbebetriebs für die Folgen eines Motorschadens an seinem Kipplader mit Kran. Der Kipplader/Kran fiel bis zur Ersatzbeschaffung für ca. ein halbes Jahr aus. Der Betrieb machte einen Vergütungsmehraufwand für seine Arbeitnehmer wegen nun händisch vorzunehmender Be- und Entladearbeiten sowie Schadensersatz wegen erforderlicher Fremdvergabe von Transportaufträgen geltend. Daneben verlangte der Gewerbebetrieb pauschaliert eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum von der Beschädigung des Fahrzeugs bis zu dessen Ersatzbeschaffung. Der BGH wies das Verlangen des Unternehmens zurück.Im Abgleich zum vorstehend genannten Taxi-Urteil vom 10.07.1978 entschied der BGH, dass eine unterschiedliche Betrachtung nicht angezeigt ist. Eine Differenzierung, ob das ausgefallene Fahrzeug unmittelbar der Gewinnerzielung dient, weil der Ertrag allein mit Transportleistungen erzielt wird, oder nur mittelbar, nämlich zur Unterstützung einer anderen gewerblichen Tätigkeit (Kranarbeiten) eingesetzt wird, ist jedenfalls dann nicht geboten - so der BGH -, wenn die materiellen Auswirkungen des Fahrzeugausfalls "quantifiziert" werden können. Nach Auffassung des BGH war eine solche quantifizierte Berechnung, damit also die Berechnung eines konkreten und nicht lediglich abstrakten Schadensersatzes, möglich. Eine nachvollziehbare Begründung, weshalb eine solche konkrete Quantifizierung ohne weiteres möglich war, bleibt der BGH allerdings schuldig. Zwar führt der BGH in seinem Urteil vom 06.12.2018 ausdrücklich aus, dass er mit dieser Entscheidung keine grundsätzliche Aussage darüber treffen will, ob für gewerblich genutzte Fahrzeuge auch nur theoretisch ein Nutzungsausfall geltend gemacht werden darf. Die sich aus dem Urteil vom 06.12.2018 ergebende rechtliche Zielrichtung spricht jedoch eindeutig gegen eine auch nur denkbar mögliche Nutzungsausfallentschädigung für gewerblich genutzte Fahrzeuge.Kurzfassung1. Der Nutzungsausfall ist gesetzlich nicht geregelt. Anzuwenden ist die schadensersatzrechtliche Zentralnorm des § 249 BGB: "Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre."2. Für gewerblich genutzte Fahrzeuge, die unmittelbar der Erbringung gewerblicher Leistung dienen, wie etwa Taxi oder Transport-Lkw, ist keine Nutzungsausfallentschädigung zu bezahlen. Vielmehr ist für diese Fahrzeuge ein Ertragsentgang konkret zu berechnen (BGH-Urteil vom 10.07.1978).3. Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt für ein gewerblich genutztes Fahrzeug nur dann in Betracht, wenn durch den Gebrauchsausfall eine "fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung" vorhanden ist. Diese Beeinträchtigung ist vom Geschädigten umfassend darzulegen und nachzuweisen (BGH-Urteil vom 21.01.2014).4. Immer dann, wenn bei einem gewerblich genutzten Fahrzeug die Berechnung eines konkreten und nicht lediglich abstrakten Schadensersatzes möglich ist, scheidet eine Nutzungsausfallentschädigung aus (BGH-Urteil vom 06.12.2018).KommentarAus der Entscheidung des BGH vom 06.12.2018 lässt sich nachvollziehbar entnehmen, dass die "Juristerei" keine Wissenschaft ist, die mit Mitteln des Messens und Wiegens mit klar vorhersehbaren Ergebnissen arbeitet. Vielmehr sind Urteile durchaus - und zuweilen auch nicht unerheblich - durch persönliche Zielvorstellungen sowie Be- und Empfindlichkeiten beeinflusst. Von maßgeblicher Bedeutung sind selbstverständlich auch gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die bei Richtern zu neuen Sichtweisen führen. So liest man in den höchstrichterlichen Urteilen aller Gerichtsbarkeiten wiederkehrend den nachfolgenden oder einen ähnlichen Satz: "Unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung wird nunmehr entschieden, dass ..." Die Vorinstanz zum BGH-Urteil vom 06.12.2018, das OLG Karlsruhe, hatte im Urteil vom 14.11.2017 (Az. 8 U 103/15) anhand derselben Fakten noch entschieden, dass eine "fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung" für den Gewerbebetrieb vorliegt. Das OLG hatte allerdings den Nutzungsausfall dennoch abgelehnt, weil nach seiner Auffassung das Gesetz schlicht und ergreifend keinen Nutzungsausfall für gewerblich genutzte Fahrzeuge vorsieht. Der BGH drehte die Begründung ganz einfach um. Für den BGH gab es im konkreten Fall keine fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs; dafür wurde aber die grundsätzliche Aussage des OLG zur Gesetzesanwendung einkassiert. Aus beiden Urteilen ist jedoch die Tendenz zu entnehmen: Für die Nutzungsausfallentschädigung für gewerblich genutzte Fahrzeuge sieht die Zukunft nicht positiv aus.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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