Ausgabe 06/2012: Revision der Kostenfalle

Revision der KostenfalleGeltungszeitraum urlaub E Neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Urlaubs(abgeltungs)anspruch langzeiterkrankter ArbeitnehmerAutohaus juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerMit ungläubigem Kopfschütteln wurde am 20. 1. 2009 das Schultz-Hoff-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) registriert, das zu einer Erschütterung des deutschen Urlaubsrechts führte. Wir berichteten in Autohaus Heft 18/2009. Mit der neuen Schulte-Entscheidung vom 22. 11. 2011 (Az: C-214/10) reagierte der EuGH auf die vielfache Kritik und korrigierte seine vormalige Entscheidung, mit der Arbeitnehmern eine unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei langjähriger Erkrankung zugestanden wurde.Deutsches UrlaubsrechtDas Deutsche Urlaubsrecht bestimmt in § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur dann möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des nachfolgenden Kalenderjahres genommen werden. Sofern der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann, ist er finanziell abzugelten. Nach der vormaligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verfiel der Urlaub auch dann, wenn der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Abschluss des Übertragungszeitraums nicht genommen werden konnte. Weil das BAG den finanziellen Abgeltungsanspruch als sogenanntes „Surrogat“ des Urlaubsanspruchs ansah, verfiel zum Ende des Übertragungszeitraumes daher auch der Abgeltungsanspruch.Schultz-Hoff-Entscheidung 2009Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf erachtete die Rechtsprechung des BAG schon lange Zeit für unzutreffend und nahm einen anhängigen Fall zum Anlass, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. In der Sache ging es darum, dass ein Arbeitnehmer von September 2004 bis September 2005 arbeitsunfähig erkrankt war und aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, ohne dass er seine Arbeitsfähigkeit wieder erlangt hatte. Der Urlaub für 2004 war nach deutscher Rechtslage erloschen, da er wegen der Krankheit innerhalb des Übertragungszeitraumes, also bis längstens 31. 3. 2005, nicht genommen werden konnte. Dementsprechend gab es nach dem 31. 3. 2005 auch keine finanzielle Abgeltung mehr für den nicht genommenen Urlaub. Der EuGH entschied, dass eine nationale gesetzliche Regelung, die einen Verfall von Urlaubsansprüchen bestimmt, zwar grundsätzlich zulässig ist, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu nehmen. Dies ist bei einer Langzeiterkrankung aber gerade nicht der Fall. Aus der Schultz-Hoff-Entscheidung ergab sich, dass langjährig erkrankte Arbeitnehmer unbegrenzt Urlaubsansprüche ansammeln konnten, weil der EuGH keinerlei zeitliche Begrenzung für den Verfall von Ur-laubsansprüchen vorsah. Dies musste in der Konsequenz zur Folge haben, dass die Arbeitgeber für jeden langzeiterkrankten Mitarbeiter wegen der nicht verfallbaren Urlaubsansprüche mehrere Monatsgehälter als Rückstellung für die finanzielle Abgeltung zu berücksichtigen hatten, nachdem der EuGH einen unverfallbaren garantierten Urlaubsanspruch von mindestens vier Wochen pro Jahr vorsah.Schulte-Entscheidung 2011Der Schlosser Schulte war seit Januar 2002 arbeitsunfähig krank. Seit Oktober 2003 bezog er eine komplette Erwerbsminderungs-Rente. Das Arbeitsverhältnis endete, ohne dass Herr Schulte die Arbeitsfähigkeit wiedererlangte. Offenbar war ihm das Urteil des EuGH zum Fall Schultz-Hoff bekannt. Jedenfalls erkannte er das finanzielle Potenzial dieser Entscheidung im Hinblick auf seine eigenen Verhältnisse und erhob im März 2009 Klage gegen den Arbeitgeber auf Abgeltung des (wegen seiner Arbeitsunfähigkeit) nicht genommenen Urlaubs für die Jahre 2006, 2007 und 2008. Das Arbeitsgericht sprach Herrn Schulte für diese Jahre den Betrag von 6.550 Euro zu. Das Landesarbeitsgericht Hamm legte in der Berufung den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der Fall Schulte wies gegenüber dem Fall Schultz-Hoff die Besonderheit auf, dass der anzuwendende Tarifvertrag eine Regelung zur Arbeitsunfähigkeit enthielt. Es wurde hierfür ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten festgelegt. Zur Erinnerung: Das Bundesurlaubsgesetz sieht einen Übertragungszeitraum von nur drei Monaten vor. Der EuGH kam nunmehr in seiner Schulte-Entscheidung zu dem Ergebnis, dass ein Erlöschen des Urlaubs nach Ablauf eines „angemessenen“ Übertragungszeitraums im Fall einer lang andauernden Krankheit mit Unionsrecht vereinbar ist. Einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten erachtete der EuGH als angemessen. Dementsprechend hatte Herr Schulte nur für ein Jahr einen Urlaubsanspruch und hieraus resultierend einen Urlaubsabgeltungsanspruch; die länger zurückliegenden Ansprüche waren verfallen.KonsequenzenNach der Schultz-Hoff-Entscheidung aus 2009 wurden vielfach die Arbeitsverträge angepasst. Es ist zu empfehlen, eine erneute Anpassung vorzunehmen und einen 15-monatigen Übertragungszeitraum für Urlaubsansprüche sowie Urlaubsabgeltungsansprüche zu vereinbaren. Zwar ergibt sich aus der neuen Schulte-Entscheidung des EuGH die Angemessenheit des Übertragungszeitraums von 15 Monaten zunächst nur für eine tarifliche Regelung. Es ist jedoch mit guten Gründen auch für Einzelverträge davon auszugehen, dass die Judikatur die gesetzlichen Regelungen im Bundesurlaubsgesetz in dieser Richtung entsprechend auslegen wird. Auch ist zu empfehlen, beim Abschluss von neuen Branchen-Tarifverträgen eine Anpassung auf einen 15-monatigen Übertragungszeitraum vorzunehmen. zRechtsanwalt Rainer BoppFachanwalt für ArbeitsrechtKanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Nach der gesetzlichen Regelung im Bundesurlaubsgesetz verfallen Urlaubsansprüche (und als Surrogat Urlaubsabgeltungsansprüche), wenn der Urlaub nicht bis längstens 31. März des nachfolgenden Kalenderjahres genommen werden kann. Dies gilt auch für den Fall, dass der Urlaub wegen Krankheit nicht angetreten werden kann.2. Mit dem Schultz-Hoff-Urteil vom 20. 1. 2009 entscheidet der EuGH, dass das deutsche Urlaubsrecht mit dieser Verfallregelung gegen Europarecht verstößt. Der EuGH legt für Arbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung einen unverfallbaren garantierten Urlaubsanspruch von mindestens vier Wochen pro Jahr fest. 3. In der Schulte-Entscheidung vom 22. November 2011 revidiert der EuGH seine Ansicht. Nunmehr ist eine Regelung zum Verfall von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen dann zulässig, wenn die Verfallsregelung (z. B. im Tarifvertrag) einen „angemessenen Übertragungszeitraum“ vorsieht. Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten ist jedenfalls in diesem Sinn angemessen.Kommentar< Offenbar fruchtete die Kritik, die auf den EuGH von allen Seiten einbrach, als die Schultz-Hoff-Entscheidung bekannt wurde. Dem EuGH waren die Konsequenzen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offensichtlich nicht bewusst. Der EuGH gefiel sich wohl in der Rolle, mit einem unverfallbaren und unbeschränkten Urlaubsanspruch ein „soziales Grundrecht“ für langzeiterkrankte Arbeitnehmer zu erfinden. Der Beifall blieb für den EuGH allerdings aus. Mit der Schulte-Entscheidung vom 22.11.2011 liegt geradezu ein Paradigmen-Wechsel vor, auch wenn der EuGH verharmlosend davon spricht, dass mit dieser Entscheidung lediglich eine „Nuancierung“ seiner bisherigen Urlaubsrechtsprechung vorgenommen wird. Die neue Entscheidung gilt es in der Instanzenrechtsprechung noch mit Leben zu füllen. Klar ist jedoch in jedem Fall, dass Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche von Arbeitnehmern mit der Schulte-Entscheidung deutlich beschränkt wurden. >

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