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Kurzfassung
Wann ist ein Fahrzeug ein "Neuwagen" und ab wann muss man davon ausgehen, dass das Fahrzeug seine Neuwageneigenschaft verloren hat? Diese auf den ersten Blick einfach zu beantwortende Abgrenzungsfrage kann in der Praxis zu Schwierigkeiten führen. Wer als Verkäufer mit den Begriffen Neu- und Gebrauchtwagen ungenau umgeht, riskiert nicht nur, unerwartet Gewährleistungsansprüchen von Käufern ausgesetzt zu sein, sondern unter Umständen auch den Fortbestand seines Händlervertrags.
Das Gesetz definiert an keiner Stelle, was unter einer "neuen Sache" oder einer "gebrauchten Sache" zu verstehen ist. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, wann ein Fahrzeug im Kfz-Handel "neu" ist, sind daher die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
1. "Fabrikneuheit"
Schließen Verkäufer und Kunde einen Kaufvertrag über einen "Neuwagen" so liegt hierin nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig stillschweigend die Vereinbarung der Parteien, dass das verkaufte Fahrzeug die Beschaffenheit "fabrikneu" aufweist. Denn ein Käufer, der ein Fahrzeug als Neuwagen erwirbt, gehe regelmäßig in der selbstverständlichen Erwartung davon aus, dass das Fahrzeug "fabrikneu" sei. Als "fabrikneu" gilt nach der Rechtsprechung ein Fahrzeug grundsätzlich dann, wenn
- es "unbenutzt" ist, also seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch - regelmäßig die Teilnahme am Straßenverkehr- noch nicht zugeführt wurde,
- das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird,
- es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und
- wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags in der Regel nicht mehr als zwölf Monate liegen.
Die Zwölf-Monatsfrist wird damit begründet, dass eine solch lange Standdauer für einen Neuwagenkäufer ein wertmindernder Faktor ist. Denn das Fahrzeug unterliegt mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebs einem Alterungsprozess (Materialermüdung, Oxidation und andere physikalische Veränderungen). Bei der Zwölf-Monats-Frist soll es sich aber um keine tag-genau einzuhaltende, starre Ausschlussfrist handeln. Für die Praxis empfiehlt es sich dennoch, diese Frist einzuhalten.
Die Definition der Fabrikneuheit stellt den Kfz-Handel dabei jedoch vor Herausforderungen. Offen bleibt insbesondere, wann ein Fahrzeug seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch zugeführt wurde. Zumindest für einige Einzelfälle hat die Rechtsprechung Klarheit geschaffen.
Unschädlich für die Eigenschaft als fabrikneu sind etwa reine Überführungsfahrten zur Auslieferung an den Endkunden und Testfahrten. Hintergrund ist, dass in diesen Fällen keine Nutzung zur Teilnahme am Straßenverkehr vorliegt, weshalb das Fahrzeug weiterhin als "unbenutzt" gilt.
Auch eine kurzzeitige Zulassung auf den Händler (sogenannte Tageszulassung) führt grundsätzlich nicht zum Verlust der Neuwageneigenschaft. Denn diese Zulassung erfolgt ohne beabsichtigte Nutzung durch den eingetragenen Halter und dient lediglich der Erreichung interner Unternehmensziele. Dagegen kann eine kurzzeitige Zulassung auf einen anderen Halter als den verkaufenden Händler der Eigenschaft des Fahrzeugs als fabrikneu entgegenstehen. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, ob eine Zulassung zur eigenen Nutzung beispielsweise zur kurzzeitigen Mobilhaltung von Mitarbeitern erfolgt ist.
Ebenfalls kann ein Fahrzeug dann nicht mehr als "unbenutzt" gelten, wenn es eine nicht unerhebliche Fahrtstrecke zurückgelegt hat. Dies wird teilweise von der Rechtsprechung bereits bei einer Fahrleistung von 103 bis 200 Kilometern angenommen. Die zur Überführung erforderlichen Kilometer sind in jedem Fall unschädlich, wenn die Parteien vereinbaren, dass der Händler das Fahrzeug von einem weiter entfernten Standort beschaffen soll. Vorsicht ist bei Ausstellungsfahrzeugen geboten. Diese werden vereinzelt deshalb nicht mehr als unbenutzt angesehen, weil sie wiederholter körperlicher Nutzung durch eine Vielzahl von Personen (Anfassen, Öffnen von Türen, Probesitzen etc.) und daher einem erhöhten Mängelrisiko ausgesetzt sind. Auch wenn die Erhöhung des Mängelrisikos eine Einzelfallfrage ist, sollte die Vornutzung als Ausstellungsfahrzeug im Kaufvertrag ausdrücklich vermerkt werden.
Für EU-Reimporte hat die Rechtsprechung dieselben Maßstäbe wie für inländisch vertriebene Neuwagen angesetzt.
Im Rahmen des Kaufvertrags zwischen Händler und Endabnehmer liegt die rechtliche Relevanz des Neuwagenbegriffs darin, dass ein als "Neuwagen" verkauftes Fahrzeug eine zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit darstellt. Weicht das Fahrzeug von den Anforderungen an ein fabrikneues Fahrzeug ab, liegt hierin ein Sachmangel. Dieser kann den Käufer zur Ausübung von Gewährleistungsrechten, also Nacherfüllung, Rücktritt, Minderung und/oder Schadensersatz berechtigen. Kommt der Kaufvertrag mit einem Verbraucher zustande, darf ein objektiv fabrikneues Fahrzeug auch nicht als "gebraucht" deklariert werden, um Gewährleistungsfristen zulasten des Verbrauchers zu verkürzen. Dafür, dass eine vom Regelfall abweichende Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Käufer vorlag und daher die Anforderungen an die "Fabrikneuheit" ausnahmsweise (teilweise) nicht einzuhalten waren, trägt grundsätzlich der Händler die Darlegungs- und Beweislast. Etwas anderes gilt dann, wenn eine Abweichung vom Regelfall bereits nach den äußeren Umständen für den Käufer erkennbar ist.
Relevant ist der Neuwagenbegriff auch in Abgrenzung zum Gebrauchtwagenkauf. Der Händler kann - auch im Rahmen von Verbrauchergeschäften - unter bestimmten Umständen die Verjährungsfrist für die Gewährleistungsansprüche des Käufers auf ein Jahr verkürzen.
2. Händlervertraglicher Kontext
Im Verhältnis Händler-Hersteller sind die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien nur maßgeblich, wenn der Händlervertrag keine abweichenden Reglungen enthält. Der Neuwagenbegriff ist in den Händlerverträgen regelmäßig definiert und zulassungsunabhängig anhand von einer bestimmten Kilometerlaufleistung zum Gebrauchtfahrzeug abgegrenzt.
Auf den Neuwagenbegriff muss in diesem Kontext besonderes Augenmerk gelegt werden. Denn viele Automobilhersteller unterhalten ein sogenanntes "selektives Vertriebssystem" zu dessen Schutz, sowohl dem Hersteller als auch dem Händler der Verkauf von Neufahrzeugen an sogenannte "unautorisierte Wiederverkäufer" verboten ist. Ein Verstoß gegen das Wiederverkaufsverbot kann weitreichende Folgen von der Abmahnung bis hin zur außerordentlichen Kündigung des Händlervertrags durch den Automobilhersteller haben.
Fazit
Hersteller und -Händler sollten sich bewusst sein, dass sie beim Neuwagenverkauf an Kunden im Regelfall ein "fabrikneues" Fahrzeug verkaufen. Um Gewährleistungsansprüche des Käufers zu vermeiden, sollte bereits vor dem Verkauf sichergestellt werden, dass sämtliche von der Rechtsprechung an das entsprechende Fahrzeug gestellte Anforderungen erfüllt sind. Im Falle fehlender Fabrikneuheit ist mit dem Kunden eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung im Kaufvertrag zu treffen. Autorisierte Händler müssen im Verhältnis zum Hersteller je nach Händlervertrag bestmöglich sicherstellen, dass sie Neufahrzeuge gemäß der dort enthaltenen Neuwagendefinition nicht an Kunden verkaufen, die diese zum Zwecke des unautorisierten Weiterverkaufs erwerben. Nur so können vertragsrechtliche Konsequenzen vermieden werden.