Ausgabe 20/2013: Zähe Masse

Beim Stichwort Europa verdrehen inzwischen viele die Augen: Der Staatenbund Europäische Union (EU) gilt den Bürgern als Lieferant für aufwändige und oftmals für sinnlos gehaltene Gesetze. Die Erhaltung der gemeinsamen Währung kostet die Steuerzahler hierzulande viel Geld, und vom oft zitierten Abbau der Bürokratie merkt man nichts. Dabei hat die Expertengruppe rund um Edmund Stoiber in den letzten fünf Jahren den Verwaltungsaufwand für EU-Unternehmen nach eigenen Angaben bereits um ein Viertel reduziert.23 Länder, elf HändlerverbändeBeim Einzelnen kommt davon aber wenig an. 28 Mitgliedsstaaten gehören mittlerweile zur EU, die Spannweite in der Entwicklung der einzelnen Länder ist riesig. Das merkt auch der europäische Kfz-Gewerbeverband Cecra, in dem mittlerweile die Kfz-Verbände aus 23 Staaten organisiert sind. Von Belgien bis Ungarn reicht die Liste, und elf europäische Händlerverbände sind auch dabei. Elf? Genau, da fehlen einige. Zum Beispiel BMW, Hyundai, Volvo, deren Hersteller aber beim europäischen Herstellerverband ACEA organisiert sind. Und auch bei den Ländern sind nicht alle dabei: Der fabrikatsgebundene Teil der britischen Organisation RMI fehlt ebenso wie die Spanier und die Italiener.Das könnte sich aber in naher Zukunft wieder ändern, denn die aktuelle Diskussion um die nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen für die europäischen Händlerbetriebe hat sich ebenfalls stark verändert. Früher diskutierten Cecra und manche Vertreter der nationalen Händlerverbände, vor allem die Briten, mit Vertretern der Generaldirektion Wettbewerb. Es ging um den Erhalt der Kfz-GVO. Das ist nun ebenso Geschichte wie die branchenspezifischen Vertriebsregeln.Aktionsplan Cars 2020Jetzt geht die EU einen anderen Weg: Mit dem Aktionsplan "Cars 2020" soll die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Automobilbranche in Europa für die Zukunft gestärkt werden. Die zuständige Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Überkapazitäten, nötigen sozialen und technologischen Investitionen sowie staatlichen Beihilfen und nachfrageseitigen Maßnahmen. Ein ziemlich breiter Ansatz, der die Bedeutung des Handels in diesem System allerdings auch berücksichtigen soll. Federführend bei der EU-Kommission ist die Generaldirektion Industrie und Unternehmen. An den entsprechenden Sitzungen dürfen nur die europäischen Spitzenverbände der beteiligten Interessengruppen sowie die Vertreter der nationalen Regierungen teilnehmen. Der britische Händlerverband ist nicht zugelassen. Einfluss nehmen kann nur Cecra.Das ist aber ausgesprochen schwierig. Das oben genannte Themenspektrum ist nämlich riesengroß und die Situation in Sachen Automobilvertrieb ziemlich festgefahren. Die europäische Händlervertretung fordert vor dem Hintergrund der entfallenen Kfz-GVO nämlich im Rahmen der Cars 2020-Gruppe einige der jetzt nicht mehr gültigen Händlerschutzbestimmungen wieder ein. Die Händler wollen wieder die Möglichkeit zum Mehrmarkenvertrieb, Investitionsersatz bei nicht vom Händler zu vertretender Vertragskündigung und die Möglichkeit zur Übertragung des Vertriebsvertrages auf einen Marken-Kollegen ohne Zustimmung des Herstellers/Importeurs.ACEA ist sturDer Herstellerverband ACEA lehnt dies aber ab und diskutiert noch nicht einmal mehr darüber. Da ACEA aber ebenfalls zur Cars 2020-Gruppe gehört und die EU-Kommission durchaus Verständnis für die Wünsche der Händler zeigt, hoffen die Händler nun auf Einsicht im Rahmen der Gespräche der Cars 2020-Gruppe. Für Michael Lamlé, Geschäftsführer des europäischen Volkswagen/Audi-Händlerverbandes und Präsident des deutschen, ist die Ablehnung ohnehin unverständlich, weil der Volkswagen Konzern als europäischer Marktführer und ACEA-Mitglied offensichtlich zumindest mit den ersten beiden Forderungspunkten kein Problem hat: Sowohl die Vertragsübertragung auf einen Markenkollegen als auch die Möglichkeit des Mehrmarkenhandels sind nach wie vor Bestandteile der Händlerverträge für Volkswagen Pkw, Audi und Volkswagen Nutzfahrzeuge in Europa.Andere nationale AnsätzeWeil da aber nichts vorwärtsgeht, haben manche Länder in Europa inzwischen andere nationale Ansätze gewählt: Österreich hat seit Juni dieses Jahres ein Händlerschutzgesetz, in Luxemburg und Frankreich ist dies ebenfalls geplant. Die deutsche Hoffnung ruhte bislang eher darauf, dass man die EU-Handelsvertreter-Richtlinie auch für Vertragshändlersysteme anwendbar machen könne. Dies scheint sich gerade zu zerschlagen. Nach Auskunft von Klaus-Heiner Lehne, Vorsitzender des Rechtsausschusses sowie der Konferenz der Ausschuss-Vorsitzenden im EU-Parlament, stehen vor der Europawahl 2014 noch zirka 300 Gesetzgebungsverfahren auf der Agenda, realistischerweise könnten noch etwa ein Drittel durch das Parlament gebracht werden. Nicht darunter ist die Modifizierung der seit 1986 geltenden EU-Handelsvertreter-Richtlinie. Also doch Cars 2020. Und das kann dauern. Cecra-Präsident Jean-Paul Bailly sieht aber keine Alternative: "Auch wenn es ein sehr langer und schwieriger Prozess ist, Cecra ist die einzige Organisation, die die einmalige Gelegenheit hat, dafür zu sorgen, dass die Stimme der Händler und Werkstätten in Brüssel gehört wird."Auch Plattform für DiskussionenDamit die Position der Händler in der europäischen Organisation noch mehr gestärkt wird, wurde vor einigen Jahren die bisherige Fabrikatshandelsdivision von Cecra umbenannt in European Car Dealers (dt.: europäische Autohändler). Neben den politischen Aufgaben will die vom Niederländer Jaap Timmer geführte ECD aber auch eine Plattform schaffen für Diskussionen rund um und innerhalb der Branche. Dafür lud sie in diesem Jahr zum dritten Mal zu einem Europäischen Autohändlertag am 26. September nach Brüssel ein. Unter den über 100 Teilnehmern aus 20 Ländern waren aber leider wenig aktive Händler. Dabei war aber Steffen Hahn, geschäftsführender Gesellschafter der Hahn Gruppe, die an 23 Standorten im Raum Stuttgart die Marken Volkswagen Pkw, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Audi, Skoda und Porsche vertritt. Hahn, der gleichzeitig auch Europa Delegierter des deutschen Volkswagen/Audi-Händlerverbandes und Vizepräsident des europäischen Händlerverbandes ist, zeigte sich beeindruckt von der Veranstaltung: "Ich war überrascht von der Qualität. In den sehr guten Vorträgen wurden die Kernthemen angesprochen." Für ihn ist der Europäische Händlertag ein "wichtiges Zeichen für die Branche".Automarkt bleibt schwachNeben den politischen Schwierigkeiten hat die Branche nämlich auch mit dem derzeit schwachen europäischen Automobilmarkt zu kämpfen. Die Unternehmensberatung Ernst & Young erwartet auch keine gravierende Besserung. Berater Anil Valsan: "Der europäische Automarkt wird nicht mehr über 17 Millionen Einheiten steigen. Eine Erholung von den derzeit schwachen Zahlen ist frühestens Ende des Jahrzehnts auf 15 bis 16 Millionen Einheiten zu erwarten." Besonders die Spanier trifft die Wirtschaftskrise hart: Jeder sechste Autohändler ist in dem Land von der Insolvenz bedroht.Rote ZahlenLediglich in Großbritannien konnten die Händler in den letzten Jahren ihre Rendite verbessern. Der Grund dafür könnte sein, dass die Zahl der Händlerzulassungen dort bei lediglich fünf Prozent des Gesamtmarktes lag. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im letzten Jahr ein Drittel. Und auch im Gebrauchtwagengeschäft setzen die Briten Maßstäbe: Die Standzeiten liegen bei durchschnittlich zirka 50 Tagen.Ansonsten sah es in den letzten beiden Jahren in Europa düster aus: 39 Prozent der Händler schrieben laut Unternehmensberater Trevor Jones von ASE rote Zahlen, im ersten Halbjahr 2013 sogar 43 Prozent. "Sie zahlen dafür, arbeiten zu können", brachte es Jones auf den Punkt. Auch er mahnt: "Dem Gebrauchtwagen muss mehr Bedeutung beigemessen werden." Größtes Problem: Der durchschnittliche Verkaufspreis eines Gebrauchtwagens lag 2012 bei 7.000 Euro. Der durchschnittliche Wert eines Gebrauchtwagens auf Händlerlager liegt bei 11.000 Euro. Das Angebot passt also nicht zur Nachfrage. Sein wichtigster Rat lautete aber: "Vergessen Sie Zulassungen, denken Sie daran, was Sie verdienen können. Schließlich sind Sie kein Sammler, sondern Investor." DKurzfassungDie Diskussion um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die europäischen Händlerbetriebe hat sich verändert. Statt mit Vertretern der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission haben die Händlerlobbyisten es nun mit einer Arbeitsgruppe im Rahmen des Aktionsplans "Cars 2020" zu tun. Zuständig ist die Generaldirektion Industrie und Unternehmen. Das Themenspektrum ist dabei sehr breit und die Hersteller gegenüber den Wünschen der Händler uneinsichtig.

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