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VW-Chef Herbert Diess im Interview: "Auftragsbestand so gut wie selten zuvor"

28.07.2021 13:55 Uhr | Lesezeit: 6 min
VW-Chef Herbert Diess im Interview: "Auftragsbestand so gut wie selten zuvor"
Herbert Diess (62): Autopreise hoch, E-Mobilität wird günstiger.
© Foto: Volkswagen

Ausgestattet mit einem frischen Vierjahresvertrag will Herbert Diess VW weiter zum Elektro- und Digitalkonzern umbauen. Das Klimakonzept steht, die Nachfrage ist zurück. Corona hinterlässt aber Spuren, für Kunden wie Belegschaft. Die Chipkrise sei als Problem "beherrschbar".

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Die neue Konzernstrategie von Volkswagen trägt vor allem die Handschrift von Herbert Diess. Sein Ziel: das größte deutsche Unternehmen vom klassischen Autobauer zum emissionsarmen und vollvernetzten Mobilitätsanbieter zu entwickeln. Mit dem Tempo des Umbruchs machte sich der Vorstandschef in den vergangenen Jahren nicht nur Freunde. Nun soll Diess bis 2025 an Bord bleiben. Im Interview der Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX spricht er über zentrale Veränderungen für Verbraucher, Beschäftigte und das Verkehrssystem.

Herr Diess, das Ärgste der Corona-Krise scheint überwunden - würden nur nicht überall die dringend benötigten Elektronik-Chips fehlen. Reservieren Sie jetzt die vorhandenen Halbleiter für die teure Oberklasse? Und wie reagieren die Autopreise insgesamt?

Herbert Diess: Auch viele Volumenmodelle werden uneingeschränkt gefertigt - es ist nicht so, dass nur noch die Porsche-Fahrer bedient werden. Die Preise sind weniger durch Halbleiter beeinflusst. Aber wir haben natürlich insgesamt einen starken Rohstoffpreis-Anstieg, das geht über Stahl bis hin zu vielen unserer Primärwerkstoffe. Und es wird wahrscheinlich nicht möglich sein, das alles aufzufangen.

Manche Käufer müssen auch lange warten. Wie sehr zieht sich das hin?

H. Diess: Wir würden natürlich gern jeden Kundenwunsch bedienen, und natürlich sind die Lieferzeiten, die wir momentan haben, zu lang. Wir werden jetzt sicherlich auch wirtschaftliche Einflüsse sehen. Aber ich gehe davon aus, dass wir das im vierten Quartal aufholen können. Die Nachfrage ist gut, bei Premium noch ein bisschen stärker als im Volumen. Die Marke VW ist mit Abstand Marktführer in Deutschland.

Ist das Geschäft aus der Zeit vor der Pandemie schon ganz zurück?

H. Diess: Die Marktsituation ist ungebrochen gut. Es wurde viel Nachfrage auch durch Beihilfeprogramme für die Wirtschaft generiert. Wir haben einen guten Auftragsbestand - so gut wie selten zuvor. Der weltweite Konjunkturausblick ist auch fürs nächste Jahr sehr positiv.

Noch drückt der Teilemangel aber doch erheblich auf die Werke, immer wieder müssen Beschäftigte deshalb in Kurzarbeit geschickt werden.

H. Diess: In den nächsten Wochen wird man noch deutliche Einschränkungen in der Produktion spüren. Es wird sicherlich weiterhin eine gewisse Knappheit an Halbleitern geben. Es ist jedoch immer besser, ein Auto zu wenig zu haben als viele zu viel.

Die Prognosen gehen teils auseinander. Womit rechnen Sie konkret?

H. Diess: Es fällt uns in der Tat schwer, die Lieferzusagen für 2023/2024 für unsere Bedarfe zu bekommen. Es wird schon einige Zeit dauern - bedingt vor allem auch durch das Internet der Dinge, jedes Device ist praktisch vernetzt. Ist das ein unlösbares Problem? Nein, denn Autos machen weltweit nur rund zehn Prozent des Halbleitermarkts aus. Das sollte also schon ein beherrschbares Problem sein.

Die fehlenden Teile sind eine Folge der Corona-Stornierungen aus 2020. Nun zieht die Konjunktur wieder an, gleichzeitig wachsen die Sorgen wegen einer möglichen vierten Viruswelle. Könnte VW diesmal durchproduzieren - oder würden wieder Milliardenausfälle drohen?

H. Diess: Wir haben zu Beginn des Jahres 2020 in China schnell gelernt, mit der Pandemie umzugehen, und konnten das Wissen sehr schnell auf die europäischen Standorte, dann auf die USA, dann auf Lateinamerika und weltweit übertragen. Wir werden sicherlich noch weitere Einschränkungen erleben. Derzeit zum Beispiel durch hohe Inzidenzen in Malaysia, wo viele unserer Halbleiter in sogenannten Backend-Fabriken - beispielsweise bei Infineon - veredelt werden.

Aber die Notfallpläne könnten demnach in der Schublade bleiben?

H. Diess: Unsere bisherige Arbeit zeigt, dass wir durch hohen Einsatz in der "Taskforce" das eine oder andere Problem deutlich entschärfen und mit Flexibilität in der Produktion viele Autos retten können. Von daher bin ich insgesamt für die zweite Jahreshälfte zuversichtlich.

Ein positiver Nebeneffekt der zwischenzeitlichen Verkaufseinbrüche ist aus Sicht der Autohersteller die ausgeweitete Elektro-Förderung. Wie lange muss der Staat da noch mitspielen?

H. Diess: Zunächst einmal freuen wir uns, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Kaufprämien bis 2025 aufrechtzuerhalten. Wir haben in Europa immer noch Märkte, die über 70, 80 Prozent Diesel haben. Das liegt ganz einfach daran, dass der Diesel dort steuerlich begünstigt ist. In anderen Märkten gibt es dagegen praktisch keine Diesel-Pkw, wie in den USA. Und wir haben schon Märkte wie Norwegen, wo der Verbrenner so stark benachteiligt wird gegenüber dem Elektrofahrzeug, dass fast immer Elektrofahrzeuge gekauft werden ...

... was doch aber ein Argument mehr dafür ist, das geltende Subventionssystem auch nicht ausufern zu lassen.

H. Diess: Kann man auf die Beihilfen für E-Autos verzichten? Vielleicht, in einigen Jahren. Aber man muss dann auch die Bevorzugung von fossilen Kraftstoffen zurückfahren. Wir haben immer noch ein Diesel-Privileg in Deutschland. Ist das sinnvoll in einer Zeit, in der wir Plug-in-Hybride haben, die auch auf der Langstrecke ähnlich effizient sind wie der Diesel, vielleicht sogar besser?

Andererseits würden viele Verbraucher ja gern umsteigen, das Problem sind die Kosten. Wann wird die E-Mobilität endlich erschwinglicher?

H. Diess: Die Anfangsinvestitionen bei Fahrzeugen im Kleinwagensegment sind höher, ja. Aber im Unterhalt sind sie schon heute günstiger als Verbrenner. Natürlich ist es so, dass größere E-Fahrzeuge für uns profitabler sind. Aber auch wir arbeiten an einer Einstiegsplattform, die Autos kommen 2025 und sind in etwa in der Größe eines T-Cross. Durch die niedrigen elektrischen Verbrauchskosten, deutlich geringere Wartungskosten und vielleicht auch niedrigere Versicherungsprämien wird Elektromobilität günstiger als Verbrennermobilität.

Glauben Sie, dass Sie auch Leute außerhalb der Städte und jenseits der klassischen Verbrennerkundschaft bald in großer Zahl erreichen?

H. Diess: Absolut. Unsere Zahlen zeigen, dass wir mehr im ländlichen Raum absetzen und im Vorstadtbereich, weil es in der Stadt häufig noch an den Lademöglichkeiten fehlt.

Um das Massengeschäft anzuschieben, wird außerdem der Zugriff auf eigene Batteriezellen wichtiger. Liegt die VW-Betriebsratschefin richtig, wenn sie gute Chancen für ein zweites deutsches Werk sieht?

H. Diess: Wir haben eine große politische Nachfrage nach Investitionen in die Zellfertigung - auch in Ländern, die mit der Elektrifizierung noch nicht so weit sind. Wir sind in intensiven Gesprächen mit der spanischen Regierung. Aber fast alle Volkswirtschaften ringen jetzt um Zellfabriken. Da ist genug zu verteilen. Wir sind auch in Tschechien und Polen stark, haben in Ungarn Werke. Es wird ein interessanter Wettbewerb um die Standorte.

Ein pauschales, weltweites Datum zum Verbrennerausstieg halten Sie wegen der Unterschiede in den Märkten für schwierig. Warum schaffen Sie dann nicht zumindest zeitliche Klarheit für einzelne Regionen?

H. Diess: Das muss eine Regierung, eine Volkswirtschaft, eine Gesellschaft für sich entscheiden. Das würden wir uns nicht anmaßen. Ich glaube schon, dass wir gut daran tun, etwa in Lateinamerika - wo es zum Beispiel eine funktionierende, flächendeckende Versorgung mit Bioethanol gibt - gar nicht über ein Verbrenner-Ausstiegsdatum zu diskutieren. Auch in Polen zum Beispiel macht ein Verbrenner-Ausstieg wenig Sinn bei absehbar noch sehr langen Kohlestrom-Anteilen, anders als in Spanien, Norwegen oder Frankreich mit praktisch CO2-freiem Strom. Es macht keinen Sinn, Elektrofahrzeuge dort zu pushen, wo in der Primärenergie noch sehr viel CO2 steckt.

Wünschen Sie sich für Ihren Kurs mehr politische Schützenhilfe?

H. Diess: Letztlich ist die große Frage: Wann findet der Kohleausstieg statt? Wir glauben, dass wir die individuelle Mobilität nur aufrechterhalten können, wenn wir sie stark und schnell dekarbonisieren. Und der einzige wirklich effiziente Weg, dies zu tun, ist das Elektroauto. Damit eine 50- bis 60-prozentige Reduzierung erreicht wird, benötigen wir CO2-freie Primärenergie. Ein vollständiger Ausstieg aus der Kohleverstromung ist entscheidend. Viele Länder sind dabei weit. Deutschland? Mal sehen ...

Auch bei Software geht es um Größenvorteile, Sie holen Experten und Spezialfirmen an Bord. Wie passt das zum alten VW-Verschlankungsziel?

H. Diess: Meine Aussage zur Konzernstrategie und zu meinem Programm war immer: Was zählt, ist, schneller und geschickter in die neue Autowelt zu transformieren. Und mit der neuen Strategie konzentrieren wir uns noch stärker auf Skalen und damit Plattformen bei Hardware und Software, bei Batterie und Laden und bei den Dienstleistungen.

Natürlich wollen wir in der Verwaltung schlanker werden, der Konzern wird sich auch aus bestimmten Themen noch zurückziehen. Wir werden uns weiterhin kontinuierlich optimieren in der Wertschöpfung.

Und autonomes Fahren - wird es bezahlbar, und wie wird abgerechnet?

H. Diess: Da sind wir noch in einem frühen Stadium. Es braucht erst einmal Testflotten und Pilotbetriebe. In ein paar Jahren stellt sich dann die Frage: Wie bezahlen wir das eigentlich? Sobald es geht, wird es wahrscheinlich nicht zu teuer sein. Wenn ein auf Künstlicher Intelligenz basiertes Software-System Auto fahren kann, kann es gleichzeitig viele Autos fahren. Software hat keine proportionalen Kosten, die Hardware für Rechner und Sensoren wird schnell günstiger. Ob die Kosten dann tage-, stunden- oder vielleicht kilometerweise bezahlt werden, regelt der Markt, entscheidet der Kunde. 

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KOMMENTARE


Anton Gsandtner

28.07.2021 - 18:27 Uhr

Diess hat die Sache verstanden. Hoffentlich gibt es bald "Reichweite nach Bedarf", vor Allem für den Zweitwagen. Dann kostet er weniger als der günstigste Verbrenner, auch ohne Förderung.


Jan Opperman

28.07.2021 - 00:00 Uhr

Der Diesel ist nicht subventioniert, vielmehr ist der steuerliche Aufschlag pro Liter um 18,4ct pro Liter geringer als auf Ottokraftstoff. Diese Regelung hatte die Bundesregierung vor Jahren im Verbund mit der Neuregelung der Kfz-Steuer festgelegt, nach der Diesel Fahrzeuge pro 100ccm Hubraum höher besteuert werden als Fahrzeuge mit Ottomotoren. Hier kann man also im doppelten Sinne nicht von einer Subvention sprechen, denn zum einen sollte das die Kfz-Steuer ausgleichen, zum anderen ist auch der Dieselkraftstoff mit 47 ct/Liter hoch besteuert. Warum in der jüngsten Zeit die Mär von der Subventionierung des Diesel aus allen Richtungen die Runde macht ist mir ein Rätsel, entweder ist es Kalkül um gewisse Ziele zu erreichen oder es ist die blanke Unkenntnis über einen Sachverhalt, der sich auch durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht ändern lässt. Leider führt das aber dazu, das viele diesen Unsinn glauben und somit wäre das politische Ziel erreicht. Und noch eins: Dass Dieselfahrzeuge durch Ihren geringeren CO2 Ausstoß klimafreundlicher sind als vergleichbare Benziner, ist Fakt und wird bei dieser Diskussion völlig außer acht gelassen.


N.Eutrum

29.07.2021 - 12:59 Uhr

Ich bin immer wieder erstaunt, dass Herr Diess mit seiner Äusserung, den Diesel zukünftig doch bitte für die Bestandskunden möglichst unattraktiv zu machen (...von weg."Diesel-Privileg..."), so gar keine Gegenraktion bekommt. War es doch der VW Konzern , der sich die letzten 30 Jahre mit seinen Diesel dumm&dusselig verdient hat - von den "Verfehlungen" der letzten Jahre gar nicht erst gesprochen... Er könnte genauso gut sagen: Schön blöd, dass Ihr einen Diesel von uns gekauft habt , jetzt seht mal zu, wie Ihr eure "Autos von Gestern" loswerdet und kauft gefälligst eines unserer überteuerten E-Modelle...denn nur die sind die Zukunft...zumindest beim Wunschdenken von VW.


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