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Sportwagenlenker wird Schlechtwetterkapitän: 100 Tage neuer VW-Chef

04.01.2016 10:30 Uhr
Das Diesel-Debakel hat den früheren Porsche-Chef Matthias Müller zum Kapitän des VW-Konzerns gemacht.

Das Diesel-Debakel hat den früheren Porsche-Chef Matthias Müller zum Kapitän des VW-Konzerns gemacht. Auf der Brücke in Wolfsburg muss er nun einen Riesentanker durch die Untiefen des Skandals steuern.

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Von Heiko Lossie, dpa und Felix Frieler, dpa-AFX

Bei Politikern gelten die ersten 100 Tage im Amt als Schonfrist - bei Matthias Müller nicht. Im Spätsommer 2015 wurde Volkswagen vom Vorzeigekonzern zum Skandalunternehmen mit Betrugsmotoren. Und Müller wurde in der Abgas-Affäre plötzlich zum Chef. Vorher stand er an der Spitze der VW-Tochter Porsche und fuhr mit den schnittigen Sportwagen ein Rekordergebnis nach dem anderen ein - bei VW erlebt er jetzt die andere Seite eines Vorstandspostens. 

Am 3. Januar wird Müller seit 100 Tagen Martin Winterkorns Nachfolger an der Konzernspitze sein. Die bisherigen Turbulenzen hätten wohl für manches Managerleben ausgereicht. Und so ist Müllers 100-Tage-Bilanz auch allenfalls eine grobe Baustellen-Inventur. 

Der Skandal um millionenfache Manipulationen an Dieselwagen hat bei VW viele Konstanten ins Wanken gebracht. Winterkorns zentralistischer Führungsstil ist dabei nur ein Aspekt. Es geht um die Arbeits- und Kritikkultur eines Weltkonzerns mit gut 614.000 Mitarbeitern. Es geht um eine Branche, deren Kernprodukt immer mehr Teil des Internets wird und als jahrzehntelanger Selbstläufer nunmehr zum Wandel verdammt ist. Verstopfte Straßen, Smog in Innenstädten - viele junge Leute gehen gar nicht mehr zur Fahrschule, geschweige denn zum Autohändler.

Schnell anpassen

Müller musste sich schnell anpassen nach seinem Amtsantritt. Kurz vor Bekanntwerden der Abgas-Manipulationen bei VW hatte er sich als Porsche-Chef noch fast abfällig über selbstfahrende Autos geäußert, einen der wichtigsten Digitaltrends der Autobranche. "Das autonome Fahren stellt für mich einen Hype dar, der durch nichts zu rechtfertigen ist", sagte er damals der «Automobilwoche». An der Spitze eines Herstellers für Fahrspaß-Geschosse kommt einem so ein Satz leicht einmal über die Lippen. Als VW-Chef wägt er seine Worte sorgfältiger. Für das neue Ressort Digitalisierung im Konzern hat er auch schon eine direkte Berichtslinie an sich selbst eingerichtet. 

"Man muss Herrn Müller daran messen, was sich tatsächlich verändern wird", sagt Experte Stefan Bratzel, der zu Managementfragen in der Autobranche forscht. "Ich glaube, er hat dazu die richtigen Worte gefunden und die richtigen Themen adressiert", lobt Bratzel, schränkt aber gleichzeitig auch ein: "Winterkorn hatte auf der IAA Mitte September ebenfalls richtige Worte gefunden." Entscheidend sei jedoch der Wandel, der den Worten tatsächlich folge - oder eben auch nicht.

Finanzexperten sind ebenfalls zurückhaltend: "Ob Matthias Müller bereits Vertrauen zurückgewonnen hat, sehen wir erst, wenn er die Erosion der Marktanteile von VW stoppen kann", sagt Matthias Hellstern von der Ratingagentur Moody's. Im November fiel der Anteil des VW-Konzerns an den Neuzulassungen in Europa im Jahresvergleich um 2,3 Punkte auf 24,3 Prozent. Das konzernweite Ziel, die Verkäufe 2015 auf Vorjahresniveau zu halten, dürfte VW verfehlen. Dennoch lobt auch Hellstern Müller: "Ich denke, er trifft die richtigen Entscheidungen und die Abgaskrise hat er inzwischen recht gut im Griff."

Konzern umkrempeln

Bei seiner Antrittsrede vor 400 Top-Managern in Leipzig kündigte Müller nicht weniger an, als den Konzern grundlegend umzukrempeln: "Ein Unternehmen dieser Größe, dieser Internationalität und dieser Komplexität kann man nicht mehr mit den Prinzipien und Strukturen von gestern steuern." Drei Wochen war Müller damals in seinem neuen Amt. 

Winterkorn galt als kontrollsüchtiger Detailnarr. Seinen Führungsstil umschrieb der "Spiegel" einmal als "Nordkorea minus Arbeitslager". Und auch Nachfolger Müller konnte sich eine Spitze nicht verkneifen: "Ob eine Frontscheibe ein Grad steiler steht oder nicht - damit will und werde ich mich nicht befassen." Müller soll einen Kulturwandel einläuten. In der auf lange Sicht von der Dieselaffäre dominierten Post-Winterkorn-Ära ist das neue Führungsprinzip mit mehr Macht für die Regionen und Marken Müllers vorrangige Aufgabe - neben den Rückrufen, Klagen, verunsicherten Kunden und der Schuldfrage.

Darum soll sich ab Januar Christine Hohmann-Dennhardt kümmern. Sie wechselt vom Konkurrenten Daimler in den VW-Vorstand und soll als Compliance-Chefin dafür sorgen, dass wieder alle die Regeln befolgen. Zudem sollen die VW-Mitarbeiter mehr wagen. Müller sagte dazu: "Wir sind stolz auf unsere Innovationskraft und unseren Erfindergeist. Aber was ist mit unternehmerischem Schneid? Risikobereitschaft? Haben wir den Mut, vielleicht sogar zu scheitern?"

2018 wieder glänzen

Falls es laufe, stünden die Chancen gut, "in zwei bis drei Jahren wieder zu glänzen". Dann wäre es 2018. Müllers Vorgänger Winterkorn wollte den Konzern bis 2018 zum weltgrößten Autobauer gemacht haben - vor Toyota. Müller will dieses Ziel nicht einkassieren, blickt aber schon auf 2025. "Dem 'Höher, Schneller, Weiter' wurde vieles untergeordnet, vor allem die Umsatzrendite", kritisierte der 62 Jahre alte Manager. Solide Gewinnkraft sei wichtiger als Stückzahlzählen. 

Mitte 2016 will er die "Strategie 2025" vorstellen. Es wird eine Zeit sein, in der die Haustarifmitarbeiter erstmals seit Jahren auf ihre Gewinnbeteiligung verzichten mussten, in der die VW-Dividende leiden dürfte - und in der Millionen Kunden ihre Diesel zum Rückruf fahren.

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