Ausgabe 17/2012: Handels- vs. Steuerbilanz

Handels- vs. Steuerbilanzdrohverluste – Mögliche Verluste aus schwebenden Geschäften sind in der Handelsbilanz auszuweisen. Für die Steuerbilanz gilt dagegen eine beschränkte Abzugsfähigkeit. Rath, Anders, Dr. Wanner & Partner WPGJahrzehntelang galt mit nur wenigen Ausnahmen der Grundsatz, dass die handelsrechtliche Bilanzierung auch verbindlich für die steuerliche Behandlung sei (sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz). So war es vor Jahrzehnten an der Tagesordnung, dass bei mittelständischen Unternehmen, insbesondere aber bei kleinen Betrieben deren Steuerberater eine Bilanz erstellte, die selbstverständlich (auch) der Steuererklärung zugrunde gelegt worden ist. Bei so mancher Personengesellschaft wurde dabei sogar oftmals das Sonderbetriebsvermögen, das nur steuerlich zum Vermögen der Personengesellschaft zugerechnet wird, mit in der Bilanz ausgewiesen, so dass eigentlich eine Handelsbilanz völlig fehlte. Denn in der Handelsbilanz darf nur das Vermögen der Gesellschaft, nicht aber das persönliche, dem Betrieb dienende Vermögen eines Gesellschafters ausgewiesen sein.Vorteilhafte EinheitsbilanzAuch heute noch wäre es für viele Betriebe vorteilhaft, eine einheitliche Bilanz zu erstellen, nämlich dann, wenn die kraft Gesetzes zwingend erforderliche Handelsbilanz auch gleichzeitig allen steuerrechtlichen Vorschriften entspricht. Abgesehen davon, dass Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz immer mit Mehrarbeit und Kosten verbunden sind, ist eine Einheitsbilanz dem Unternehmer auch verständlicher. Überlegungen, worin die jährlichen Unterschiede bestehen und worauf Ergebnisabweichungen zwischen der handelsrechtlichen und steuerlichen Gewinnermittlung bestehen, bedarf es bei der Einheitsbilanz nicht. Dies wäre daher auch heute noch ein sehr erstrebenswertes Ziel für jedes Unternehmen.Auch schon vor jüngsten gesetzlichen Änderungen (BilMoG, MoMiG, usw.) hatte der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die handelsrechtliche Bilanzierung zwingendermaßen nicht mehr für das Steuerergebnis herangezogen werden konnte. Ein Beispiel hierfür sind drohende Verluste aus schwebenden Geschäften: Handelsrechtlich müssen solche drohenden Verluste aus schwebenden Geschäften in der Bilanz ausgewiesen werden, da sich ein Kaufmann nicht reicher machen darf, als er tatsächlich ist. Abweichungen nötigDie Höhe solcher Drohverluste, z. B. in der Versicherungswirtschaft, war dem Fiskus stets ein Dorn im Auge, da die Nachvollziehbarkeit solcher Verlustrückstellungen schwer kontrollierbar ist. So war es nicht verwunderlich, dass aus rein fiskalischen Gründen der Gesetzgeber kurzerhand das Einkommensteuergesetz (EStG) dahingehend geändert hat, dass Drohverlustrückstellungen steuerlich (noch) nicht abgezogen werden dürfen. Der Verlust muss erst tatsächlich realisiert sein, damit er sich dann auch bei der Steuer als Verbindlichkeit oder Verbindlichkeitsrückstellung auswirken kann. Bei Einführung dieser steuerrechtlichen Verlustabzugsbeschränkung wurde dies auch als „fiskalischer Beutezug“ bezeichnet. Ein einfaches Beispiel für eine handelsrechtlich zwingende Drohverlustrückstellung im Kfz-Handel waren Kaufverträge über Neufahrzeuge mit langen Lieferfristen im Premiumsektor. Ein Händler, der nur ein bestimmtes Kontingent bei Erstauslieferung durch den Hersteller zugesprochen bekam, kauft beim Händlerkollegen gegen einen erheblichen Aufpreis zur Bedienung seiner erhofften eigenen Kundschaft weitere Neuwagen, die aber erst Monate später ausgeliefert werden. Bleibt nun aber wegen plötzlicher Wirtschaftskrise die erwartete Kundschaft weg, wie z. B. seinerzeit beim Ölpreisschock oder dem Platzen der sog. New-Economy-Blase, fallen ganze Käuferschichten aus, Vertragsstornierungen sind an der Tagesordnung und plötzlich herrscht ein Überangebot solcher Fahrzeuge. Der Händler wusste sodann, dass er seinen überhöhten Einkaufspreis nicht mehr erzielen würde, ihm drohte somit aus dem noch schwebenden Einkaufsgeschäft ein Verlust. An diesem Beispiel ist der steuerliche „Beutezug“ klar ersichtlich: Der sich abzeichnende Verlust ist auch schon vor Erfüllung des Kaufvertrages klar, eine Teilwertabschreibung auf das noch nicht gelieferte Fahrzeug ist aber nicht möglich; es blieb nur der Ausweis eines Drohverlustes. Mittlerweile gibt es nun erheblich mehr Vorschriften, wonach Handels- und Steuerbilanz voneinander abweichen müssen. Besonders kann dies den Ansatz von Pensionsrückstellungen betreffen, die steuerrechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt werden und bei denen zusätzlich ein sog. Nachholverbot besteht, wenn z. B. ein früherer fehlerhafter Ausweis in der Handelsbilanz künftig korrigiert wird. Insbesondere resultieren Abweichungen aus unterschiedlichen Abzinsungssätzen, die nach dem Steuerrecht 6 % p. a. und nach dem Handelsrecht 5,14 % (per 31.12.2011 nach der Rückstellungsabzinsungsverordnung) betragen.Handelsbilanz als SchrankeDie sich meist erst bei einer steuerlichen Betriebsprüfung aufdrängende Frage ist, ob bei einem Mehrergebnis des Prüfers noch nachträglich dem Fiskus ein erhöhter Rückstellungsbedarf bei anderen Bilanzpositionen kompensatorisch entgegengehalten werden kann. Erkennt z. B. der Betriebsprüfer bestimmte Betriebsausgaben nicht an und will das Unternehmen damit kontern, dass ja bisher Rückstellungen für Verpflichtungen aus Rückkaufgeschäften („Leasingrückstellung“) noch nicht vorgenommen worden sind, dann ist dem sowohl nach der Rechtsprechung als auch nach Auffassung des Finanzamtes eine Grenze gesetzt: Hat der Unternehmer in der Handelsbilanz keine Leasingrückstellung eingestellt, dann kann er dies auch später in der Steuerbilanz nicht ohne Weiteres nachholen, wenn erst zwischenzeitlich aufgrund gefestigter Rechtsprechung feststeht, dass die damalige Handelsbilanz aus heutiger Sicht fehlerhaft wäre. Entscheidend ist, ob bei der seinerzeitigen Erstellung der Handelsbilanz die erfolgte Bilanzierung für den Kaufmann vertretbar war, also aus damaliger Sicht den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung noch entsprach. Dann ist die Handelsbilanz nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch maßgeblich für die steuerrechtliche Ergebnisermittlung. Und eine beim Finanzamt eingereichte, aus damaliger Sicht richtige Bilanz kann auch nicht mehr so geändert werden, dass das steuerliche Ergebnis niedriger wird (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG) – allenfalls kompensatorische Änderungen z. B. bei Betriebsprüfungen sind denkbar – aber streng genommen nur dann, wenn auch die zugrunde liegende Handelsbilanz noch geändert wird. ■Michael Böhlk-LankesRechtsanwalt, Steuerberatermuc@raw-partner.deKurzfassung1. Auch heute gilt noch der Satz: „Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz“ – doch nur als Grundsatz.2. Aus rein profiskalischen Gründen ist der Gesetzgeber selbst von diesem Grundsatz immer weiter abgerückt, sei es zum Beispiel bei der beschränkten steuerlichen Abzugsfähigkeit von Pensionsrückstellungen oder aber der steuerrechtlichen Abzinsungspflicht von längerfristigen Verbindlichkeiten.3. Damit werden immer mehr Unternehmer gezwungen, von einer früher möglichen Einheitsbilanz abzurücken und neben der zwingend erforderlichen Handelsbilanz auch eine gesonderte steuerliche Übergangsrechnung bzw. Steuerbilanz zu erstellen.Kommentar< Denkt man an Drohverlustrückstellungen aus schwebenden Geschäften, so mag es noch verständlich gewesen sein, dass der Fiskus dem ewigen Ärger, wie diese der Höhe nach zu bemessen sein sollen, dadurch aus dem Weg gegangen ist, dass er schlichtweg Drohverlustrückstellungen nicht mehr steuerlich zum Abzug zulässt. Aber die Problematik der Begrenzung der Rückstellungen für zugesagte Pensionsleistungen und erst recht die nunmehr erforderliche Abzinsung von solchen Verbindlichkeiten, die erst über ein Jahr später nach dem Bilanzstichtag fällig werden, stößt innerhalb der Beraterschaft auf großes Unverständnis. An dem Beispiel, wonach im Handelsrecht die Verbindlichkeiten gar nicht abgezinst werden (Nominalwertprinzip), ist es offensichtlich, wie profiskalisch die steuerliche Abzinsungspflicht ist. Und vor allem wird uns immer weisgemacht, wie bemüht die Politiker hinsichtlich des Bürokratieabbaus wären, in Wirklichkeit erleben wir täglich eine drastische Zunahme von bürokratischem Aufwand! >Recht + Steuern

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