Stellantis-Manager Hochgeschurtz im Interview: Marken und Märkte

Stellantis will seine unterschiedlichen Brands in den einzelnen Ländern individuell aufstellen, die Marken sollen weitgehend autonom bleiben. Der Dachkonzern will dadurch von der Stärke der Marken profitieren. Weitere Ziele bis 2038 sind die CO2-Neutralität, das Vorantreiben der E-Mobilität und die Digitalisierung. Aktuell laufen die Verhandlungen mit den Händlern zu den Agenturverträgen. Ein Interview zu Zielen und Strategie des Konzerns mit Uwe Hochgeschurtz, Chief Operating Officer Enlarged Europe. AH: Herr Hochgeschurtz, wie schätzen Sie den europäischen Markt für 2023 im auslaufenden Jahr ein? U. Hochgeschurtz: Die Autoindustrie insgesamt verfügt derzeit über ein starkes Auftragspolster, das aufgrund der Halbleiterkrise und wesentlicher Logistikprobleme bis ins nächste Jahr reicht. Wir sehen auf der anderen Seite auch einen Rückgang des Auftragseingangs. Man merkt, dass mit dem Anstieg der Zinsen und den höheren Energiepreisen eine spürbare Kaufzurückhaltung einhergeht. 2023 wird sich die Halbleiterverfügbarkeit Schritt für Schritt weiter normalisieren. Es wird aber sicherlich keine kräftigen Zuwächse im europäischen Automarkt geben. Das zweite Thema, das uns beschäftigt, ist die Elektrifizierung. Die EU hat entschieden, dass wir alle elektrisch werden. E-Autos sind teurer. Die zweite Herausforderung lautet also, wie können wir die bezahlbare E-Mobilität weiter vorantreiben, auch vor dem Hintergrund, dass die Förderung etwa in Deutschland zurückgefahren wird. AH: In Europa läuft die Umsetzung der E-Mobilität mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Wie stellt man sich darauf ein? U. Hochgeschurtz: Die EU hat mit all ihren Mitgliedsstaaten beschlossen, dass ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden. Wir wissen auch, dass es viele Städte gibt, die Autos, welche mit fossilen Treibstoffen betrieben werden, verbannen werden. Es bleibt dem Kunden in Europa also gar nichts anderes übrig. Hier gibt es keine Alternative. Alle Länder haben einen Klimaplan, und den wollen und müssen alle einhalten. Wenn wir in Europa nicht mit gutem Beispiel vorangehen, wird sich auch kein anderes Land bewegen. Alle Länder müssen zudem die Anstrengungen signifikant erhöhen, um Ladekapazitäten zu schaffen. Man sollte aber auch nicht dramatisieren. Dass inzwischen viele BEV Reichweiten von 400 Kilometern und mehr haben, sorgt dafür, dass der normale Autofahrer - und das ist die Mehrheit - nur wenige Male im Monat zur Ladestation muss. AH: Die Autoindustrie konnte bis jetzt weitgehend auf Incentives und Verkaufsförderung verzichten. Wird man jetzt aufgrund des stärkeren Wettbewerbsdrucks wieder durchstarten? U. Hochgeschurtz: Wir haben uns auch in den vergangenen Jahren intensiv um unsere Kunden gekümmert und uns nicht zurückgelehnt. Man muss sich immer um seine Kundschaft kümmern, im Sales-Bereich wie bei Aftersales. Klar sind die Autopreise gestiegen. Wir haben - wie alle anderen auch - höhere Kosten, denn auch wir Hersteller müssen höhere Einkaufspreise bezahlen. Was uns betrifft, so gibt es interessante Angebote. Der Peugeot 208 ist beispielsweise das am meisten verkaufte Fahrzeug in Europa. Der Wettbewerbsdruck war und ist übrigens bereits jetzt schon sehr hoch, trotz des aktuell begrenzten Angebots aufgrund der Halbleiterkrise und der hohen Nachfrage. Jetzt gibt es zusätzliche Wettbewerber zum Beispiel aus China. Hier müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit beweisen. AH: Das gilt bei Stellantis für 14 Marken. Wie werden diese in den einzelnen Märkten mit dem Handel künftig agieren? U. Hochgeschurtz: Nicht jeder Händler, der mit uns vertraglich verbunden ist, hat jede Marke. Die vielfältigen und starken Marken von Stellantis sind unser Trumpf. Klar sind die Brands nicht in jedem Land gleich stark. Denken Sie zum Beispiel an Peugeot in Frankreich, Opel in Deutschland und Fiat in Italien. Für die Kunden ist es sehr positiv, wenn der einzelne Händler sein Portfolio abrundet. Wir passen das jeweils pro Marke an, die Brands werden nicht einfach aus dem Regal genommen und verteilt. Davon profitieren alle Marken und wir können uns aufgrund des Volumens alle wesentlichen Technologien leisten, ob Elektrifizierung, Digitalisierung oder autonomes Fahren. AH: Gibt es dann darüber ein Dach, das Stellantis heißt? U. Hochgeschurtz: Alle Marken werden unter ihren Namen gepreist, beworben und verkauft. Der Kunde sieht die Marke. Jede Marke entscheidet über ihr Design, ihr Produktprogramm, die Preise, ihre Werbung und ihren Auftritt. Das ist ganz wichtig. Die Stärken des Dachkonzerns sind die Marken und nicht umgekehrt. Der Mensch möchte Marken kaufen. AH: Was sind Ihre Aufgaben als Stellantis-Europachef? U. Hochgeschurtz: Wir haben einen strategischen Plan im Unternehmen, der heißt "Dare Forward 2030". Es ist wichtig, dass man mittel- und langfristige Ziele hat. Eines davon ist, dass wir bis 2038 "carbonneutral" sein wollen. Das ist für uns ganz elementar, um überhaupt dauerhaft erfolgreich agieren zu können. Das nächste Ziel ist das Vorantreiben der E-Mobilität. Die dritte Wende ist die Digitalisierung. Menschen kaufen immer mehr online ein. Also werden auch wir unseren Online-Handel immer mehr ausbauen. Man muss dabei natürlich zwischen Privat- und Geschäftskunden differenzieren. Aber dieser Trend ist nicht aufzuhalten. AH: Wenn wir uns die Details der Markenzusammenführung anschauen, stellt sich die Frage nach der Anpassung der unterschiedlichen IT-Systeme, um beispielsweise die Prozesse einheitlich abzubilden. Wie weit sind Sie damit? U. Hochgeschurtz: Wenn Sie eine Umfrage unter führenden Industrieunternehmen in Europa machen, wie es mit der IT-Struktur ausschaut, wird es immer heißen, dass die IT veraltet sei und man die Systeme stärker zusammenführen müsse. Da halte ich es mit Sepp Herberger: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel." Sobald man etwas installiert hat, muss an den nächsten Schritt gedacht werden. Es handelt sich also um einen kontinuierlichen Prozess. Dass da manche unzufrieden sind, beispielsweise hinsichtlich der Schnittstellen, ist vollkommen klar. Wer glaubt, dass dies die gesamte Autoindustrie mit einem einzigen Big Bang schafft, ist naiv. Allerdings ist auch schon viel erreicht worden. Sie können bei unseren Stellantis-Marken heute Autos digital kaufen. Klar müssen wir noch optimieren. So wie alle Industrieunternehmen auf der Welt. AH: Was können die einzelnen Marken heute noch selbst entscheiden - zum Beispiel Opel in Deutschland? U. Hochgeschurtz: Wir haben eine Organisation in Deutschland, die Opel in Deutschland vertreibt, und wir haben eine Zentrale in Deutschland, die für die Marke weltweit zuständig ist. Das ist ziemlich einfach. Es hat sich nichts geändert, Rüsselsheim ist der Traditionsstandort der Marke Opel. Die Marke ist dafür verantwortlich, dass der Auftritt so gestaltet wird, wie sie sich das vorstellt. Die Organisationsstruktur ist unkompliziert: Es gibt Marken und es gibt Märkte. AH: Warum standen zur Markteinführung des Astra Sports Tourer nicht für alle Händler Fahrzeuge zur Verfügung? U. Hochgeschurtz: Den neuen Opel Astra habe ich als damaliger Opel-Chef 2021 eingeführt. Darauf bin ich sehr stolz. Er kommt fantastisch an. Wir haben die Situation, dass die Nachfrage viel höher ist als die gegenwärtigen Produktionszahlen - hierfür sind die internationalen Lieferketten- und Logistikschwierigkeiten verantwortlich. Daher haben wir uns entschieden, zunächst die Produktion des Fünftürers hochzufahren. Wichtig ist, dass es bei der Qualität der Fahrzeuge bei der Auslieferung keine Kompromisse gibt. Wenn man heute einen Astra-Fünftürer bestellt, wird das Fahrzeug ab Frühjahr 2023 ausgeliefert. Ein heute bestellter Astra Sports Tourer wird im Sommer 2023 ausgeliefert. AH: Wie würden Sie den aktuellen Stand der Zusammenführung der Marken unter dem Stellantis-Dach aus Händlersicht beschreiben? Ist das immer schlüssig? U. Hochgeschurtz: Der Konzern und beispielsweise die Marke Opel mit dem Corsa haben viele Fahrzeuge, mit denen wir ganz vorne sind. Das erreicht man nur mit klaren Prozessen von der Entwicklung bis zur Auslieferung. Dass die eine oder andere Logistikaufgabe bei dem einen oder anderen Händler mal nicht funktioniert, lässt sich leider nicht immer komplett ausschließen. Wir sind in Summe gut organisiert. Das belegt unser Erfolg. AH: Welche Rolle spielen künftig die eigenen Niederlassungen zum Beispiel bei Peugeot in Deutschland? U. Hochgeschurtz: Die Vertriebsorganisation, die für alle unsere Marken in eigenen Betrieben zuständig ist, heißt "Stellantis & You". Wie mit diesen Betrieben verfahren wird, entscheidet der jeweilige Markt auf Basis der Netzplanung. Bei jedem Open Point stellt sich die Frage: Kann man diesen mit einem Investor besetzen oder möchte man selber investieren? AH: Nun will Stellantis die "echte Agentur" in Europa als neues Vertriebssystem einführen. Sie kennen die Umstände, die damit verbunden sind. Die EU-Kommission hat die Hürden, um das Kartellrecht auszuschalten, deutlich erhöht. Was ist dennoch der Grund dafür? U. Hochgeschurtz: Wir haben unseren Händlern einen Agenturvertrag angeboten. Das ist die richtige Entscheidung, weil es der Kunde im digitalen Vertrieb nicht akzeptieren würde, wenn es online andere Preise gibt als im Handel vor Ort. Mit dem Agenturmodell folgen wir dem aktuellen Kundentrend. Die Verhandlungen mit den Händlern laufen. Wir haben errechnet, dass Händler hinsichtlich der Margen nicht schlechter gestellt werden. Und wir übernehmen unter anderem das Risiko des Neuwagenbestands komplett. Dass sich da die Bruttomarge etwas ändert, ist klar. Aber an der Gesamtumsatzrendite des Handels ändert sich nichts. AH: Herr Hochgeschurtz, herzlichen Dank für das Gepräch.

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