Prozessvereinfachung: KI ist kein Wundermittel

07.12.2025 00:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Sylvio Röthig
Sylvio Röthig, Geschäftsführer von Atbas, im Interview: "Bei KI geht es nicht darum, den Menschen zu imitieren, sondern echte Probleme zu lösen." 
© Foto: Atbas

Im Autohandel herrscht beim Thema künstliche Intelligenz oft noch vornehme Zurückhaltung. Dabei ginge es längst anders. Wie KI in Werkstatt, Teiledienst oder Kundenservice ganz konkret Prozesse vereinfachen kann, erklärt Atbas-Gründer Sylvio Röthig im Interview.

AH: Herr Röthig, künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Wie präsent ist das Thema wirklich im Autohaus?
S. Röthig: Die Technologie ist längst da, aber viele Betriebe wissen noch nicht, wie sie sie konkret einsetzen sollen. Dabei reicht es nicht, einfach nur mit KI zu experimentieren. Wenn ein System keine echte Aufgabe löst, ist es schlicht nicht relevant. Wir brauchen Werkzeuge, die Abläufe im Autohaus verbessern und einen spürbaren Nutzen bringen. Ohne greifbare Ergebnisse bleibt es eine Spielerei.

AH: Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem KI in Ihrem Umfeld bereits funktioniert?
S. Röthig: Ein gutes Beispiel ist ein digitaler Assistent in der Telefonwarteschleife. Wenn niemand ans Telefon gehen kann, wird dem Kunden angeboten, mit einer KI zu sprechen. Diese beantwortet einfache Fragen wie Öffnungszeiten, den nächsten verfügbaren HU-Termin oder ob bestellte Teile eingetroffen sind. In neun von zehn Fällen funktioniert das gut. Gleichzeitig bleibt der persönliche Ansprechpartner erreichbar. Die KI ersetzt niemanden, sondern ergänzt den Service sinnvoll.

Reifenlager
Viele Prozesse im After Sales laufen standardisiert ab und könnten daher in Zukunft auch von einer künstlichen Intelligenz ausgeführt werden.
© Foto: adobe.stock.com/NN AI

Datenschutz ist Grundvoraussetzung

AH: Immer wieder hört man im Zusammenhang mit KI von Datenschutzbedenken. Wie gehen Sie damit um?
S. Röthig: Kundendaten dürfen nur verarbeitet werden, wenn der Kunde zugestimmt hat. Das ist für uns eine Grundvoraussetzung. Es ist nicht akzeptabel, personenbezogene Daten einfach in ein öffentliches KI-System zu laden. Deshalb setzen wir bevorzugt auf lokale Lösungen, die direkt im Unternehmen betrieben werden. Dort bleibt die Datenhoheit beim Betrieb. Erst wenn der Kunde ausdrücklich einwilligt und die Sicherheitsstandards erfüllt sind, kann auch eine cloudbasierte KI-Lösung in Betracht gezogen werden. Aber immer unter der Voraussetzung, dass der Kunde die Entscheidung trifft.

AH: Ein häufiges Problem im Autohaus ist die doppelte Eingabe von Daten in verschiedenen Systemen. Kann KI helfen, das zu vermeiden?
S. Röthig: Tatsächlich ist das Thema der Mehrfacheingabe in vielen Betrieben technisch bereits gelöst. Die Kunden-, Fahrzeug- oder Auftragsdaten werden heute meist zentral ins DMS eingegeben und stehen über Schnittstellen in anderen Systemen zur Verfügung. Was aber noch nicht überall funktioniert, ist das Zurückschreiben von Informationen. Wenn beispielsweise im Räderlager eine neue Telefonnummer aufgenommen wird, landet sie nicht automatisch im CRM. Genau hier kann eine intelligente KI-Lösung helfen. Sie kann erkennen, dass es sich um eine geänderte Information handelt und diese in alle relevanten Systeme übertragen. Das schafft mehr Datenqualität und spart viel manuelle Eingaben.


"Eine intelligente KI-Lösung kann geänderte Informationen erkennen und diese in alle relevanten Systeme übertragen."

Sylvio Röthig,
Geschäftsführer Atbas


Systeme müssen miteinander kommunizieren

AH: In vielen Häusern laufen Systeme wie DMS, Terminplanung und Lagerverwaltung nebeneinander. Wie lassen sich diese Welten zusammenbringen?
S. Röthig: Es gibt zwei Denkrichtungen. Die eine verfolgt den Ansatz eines Komplettsystems, das alles ein bisschen kann. Die andere setzt auf eine heterogene Systemlandschaft mit spezialisierten Tools, die jeweils in ihrem Bereich sehr stark sind. Für uns ist klar: Entscheidend ist, dass die Systeme miteinander kommunizieren. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter in der Terminplanung sofort sieht, welche Räder eingelagert sind, entsteht ein echter Mehrwert. Dieses Zusammenspiel funktioniert über Schnittstellen. In Zukunft kann KI dabei helfen, nicht nur technische Verbindungen zu schaffen, sondern Daten auch intelligent zu verknüpfen und kontextbezogen bereitzustellen.

Teileverwaltung mit KI

AH: Wie weit gehen Sie dabei schon in der Praxis?
S. Röthig: Wenn heute ein Werkstatttermin vereinbart wird, wissen wir in Atbas, welche Arbeiten geplant sind. Der Teiledienst kann daraufhin prüfen, ob die nötigen Teile vorrätig sind oder bestellt werden müssen. Das alles passiert schon, bevor der Serviceauftrag erstellt wurde. Solche Prozesse können künftig vollständig durch KI vorbereitet werden. In vielen Fällen geschieht das heute bereits teilautomatisiert.

AH: Wie viele Werkstattvorgänge eignen sich aus Ihrer Sicht vor allem für eine Automatisierung?
S. Röthig: Ich schätze, dass rund siebzig bis achtzig Prozent der Vorgänge standardisierte Leistungen betreffen. Das sind Wartungen, saisonale Checks oder der Austausch von Verschleißteilen. Genau hier ist Automatisierung sinnvoll und wirtschaftlich. Eine KI kann diese Prozesse begleiten, vorbereiten und dokumentieren. Für komplexe Reparaturen oder individuelle Kundenanliegen ist und bleibt der Mensch unersetzlich. Aber das tägliche Grundgeschäft lässt sich sehr gut automatisieren.


"Wenn Mitarbeiter erleben, dass die Technologie ihnen die Arbeit erleichtert, entsteht Akzeptanz."

Sylvio Röthig,
Geschäftsführer Atbas


Durchgängiger, digitaler Prozess

AH: Ist das eher noch ein Zukunftsthema?
S. Röthig: Einige Teile davon sind längst Realität. Die Teilevorbereitung zwei bis drei Tage vor dem Werkstatttermin ist heute Standard. In fünf Jahren erwarte ich, dass viele dieser Abläufe weitgehend durch KI organisiert werden. Der Schlüssel liegt darin, dass die Systeme zuverlässig miteinander arbeiten. Nur so entsteht ein durchgängiger, digitaler Prozess.

AH: Wie lassen sich die Mitarbeiter für neue KI-Prozesse gewinnen?
S. Röthig: Am Anfang steht immer Skepsis. Neue Technologien durchlaufen eine typische Entwicklung. Zuerst werden sie abgelehnt, dann hinterfragt und schließlich angenommen. Wichtig ist, dass man Mitarbeitenden nicht einfach neue Systeme überstülpt. Man sollte ihnen die Werkzeuge zur Verfügung stellen und die Chance geben, sie auszuprobieren. Wenn sie erleben, dass die Technologie ihnen die Arbeit erleichtert, entsteht Akzeptanz. In vielen Fällen setzen sich gute Lösungen dann ganz von allein durch.

Persönlicher Kontakt muss möglich bleiben

AH: Wie reagiert der Kunde auf den zunehmenden Technikeinsatz?
S. Röthig: Kunden akzeptieren digitale Services, wenn sie sinnvoll sind und ihnen die Wahl gelassen wird. Ein Chatbot, ein Schlüsselautomat oder ein digitaler Terminplaner können das Erlebnis verbessern. Aber sie dürfen nicht alternativlos sein. Der persönliche Kontakt muss immer möglich bleiben. Die beste Technik im Hintergrund ist die, die nicht auffällt, aber zuverlässig funktioniert. Sie schafft Zeit für den persönlichen Service, der am Ende den Unterschied macht.

AH: Manche Anbieter arbeiten mit täuschend echten KI-Stimmen. Halten Sie das für sinnvoll?
S. Röthig: Ich persönlich sehe keinen Mehrwert in einer KI, die versucht, wie ein Mensch zu klingen. Die Technik ist beeindruckend, aber das hilft im Alltag wenig. Es geht nicht darum, den Menschen zu imitieren, sondern echte Probleme zu lösen. Der Kunde darf ruhig wissen, dass er mit einem System spricht. Wichtig ist, dass er verstanden wird und schnell eine verlässliche Antwort bekommt.


"Die beste Technik im Hintergrund ist die, die nicht auffällt, aber zuverlässig funktioniert. Sie schafft Zeit für den persönlichen Service, der am Ende den Unterschied macht."

Sylvio Röthig,
Geschäftsführer Atbas


Mit klar definierten Prozessen starten

AH: Was würden Sie Autohäusern empfehlen, die sich mit KI beschäftigen wollen, aber noch am Anfang stehen?
S. Röthig: Am besten startet man mit klar definierten Prozessen, die sich häufig wiederholen. Die Terminvorbereitung, das Handling von E-Mail-Anfragen oder die Teilelogistik sind gute Beispiele. Wichtig ist, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Wenn erste Erfolge sichtbar werden, entsteht Interesse im ganzen Team. Und wenn die Systeme sinnvoll vernetzt sind, kann man Schritt für Schritt weitergehen. KI ist kein Wundermittel, aber ein starkes Werkzeug, wenn es richtig eingesetzt wird.

AH: Vielen Dank für das Gespräch!

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