Der Strukturwandel in der Automobilindustrie zwingt deutsche Zulieferer zu strategischen Kurswechseln. Eine aktuelle Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch zeigt: Ein großer Teil der Branche sucht neue Geschäftsfelder.
Ralf Winzer, Vorstand und Partner bei FTI-Andersch, spricht von einem "tiefgreifenden Strukturbruch". "Viele Autozulieferer wenden sich neuen Industrien zu, weil sie in der eigenen Branche keine ausreichende Perspektive mehr sehen." Bereits 79 Prozent der vom Strukturwandel betroffenen Unternehmen erschließen neue Branchen, besonders häufig die Rüstungsindustrie (25 Prozent), Energie (16 Prozent), Luftfahrt, Medizintechnik und Bahn (je neun Prozent). Drei von vier betroffenen Unternehmen (75 Prozent) bauen ihr Geschäft bereits aktiv außerhalb des Automobilsektors auf.
Winzer betont zugleich die Herausforderungen: neue Zulassungsverfahren, andere Produktzyklen und ungewohnte Kundenanforderungen. Dennoch gilt der Schritt aus Sicht vieler Unternehmen als notwendige Überlebensstrategie. "Bemerkenswert ist, dass viele Automobilzulieferer es offenbar als aussichtsreicher ansehen, in einer neuen Branche Fuß zu fassen, als sich auf die immer relevanter werdenden OEMs aus China einzustellen."
Skepsis gegenüber chinesischen OEMs blockiert neue Absatzchancen
Die Mehrheit der deutschen Zulieferer tut sich mit chinesischen Herstellern schwer. 83 Prozent halten eine Zusammenarbeit mit chinesischen OEMs für zumindest schwierig, 47 Prozent sogar für sehr schwierig. Nur 25 Prozent bauen gezielt Vertriebsstrukturen zu chinesischen Herstellern auf oder planen dies – und 57 Prozent nehmen den Wettbewerb um chinesische Auftraggeber gar nicht erst auf.
Winzer warnt vor den Folgen: "Viele Zulieferer sehen den Markteintritt chinesischer OEMs bislang vor allem als Bedrohung, nicht als Chance." Wer den Anschluss an diese neuen Marktteilnehmer jetzt verpasse, riskiere, "in wenigen Jahren vollständig abgehängt" zu sein.
Rückgang im Verbrennermarkt setzt zusätzlich unter Druck
64 Prozent der befragten Zulieferer sind vom Schrumpfen des Verbrennermarkts direkt betroffen, ein Drittel sogar stark. Entsprechend reagieren viele Unternehmen mit Verlagerungen (54 Prozent), Investitionen in Zukunftstechnologien (52 Prozent) oder Beteiligungen an Start-ups (27 Prozent). Dennoch ergreift ein ähnlich großer Anteil bislang keine Maßnahmen.
Auch im Bereich Künstliche Intelligenz zeigt sich ein gespaltenes Bild: Zwar nutzen 89 Prozent KI, jedoch überwiegend für generative Anwendungen. Industrielle Einsatzfelder wie Qualitätssicherung (51 Prozent) oder Predictive Maintenance (32 Prozent) bleiben Minderheitenphänomene. 57 Prozent erwarten dennoch, dass KI die Branche stark verändern wird.
Finanzierungsengpässe und Insourcing verschärfen die Lage
28 Prozent berichten von einem erschwerten Kreditzugang – dem höchsten Wert unter allen in der Studie betrachteten Industrien. Wo die Finanzierung stockt, verschieben 92 Prozent Investitionen; 62 Prozent haben bereits Stellen abgebaut. Gleichzeitig holen viele Hersteller verstärkt Komponenten zurück in die Eigenfertigung: 17 Prozent spüren den Insourcing-Trend bereits deutlich, 38 Prozent erwarten eine weitere Zunahme.
Winzer resümiert: "Entscheidend ist jetzt, die eigene Position klar zu bestimmen – und daraus eine strategische Richtung abzuleiten." Nicht alle Unternehmen werden den Weg in neue Branchen erfolgreich gehen, doch wer Prioritäten setzt und seine Stärken realistisch bewertet, könne den Wandel als Neustart nutzen.
Methodik
Für den German Economic Pulse 2025 – State of German Industry wurden im Spätsommer 2025 insgesamt 169 Industrieunternehmen telefonisch befragt, darunter 47 Automobilzulieferer. Rund 80 Prozent der Interviews fanden auf Vorstands- oder Geschäftsführerebene statt.