Von Online-Redakteur Andreas Heise
2012, als die letzte Golf-Generation auf den Markt kam, schien die VW-Welt noch in Ordnung zu sein. Patriarch Ferdinand Piëch herrschte mit eiserner Hand über den Mehrmarken-Konzern, der Diesel-Skandal war noch in weiter Ferne, E-Autos wurden allenfalls belächelt. Wenn VW heute von der Zukunft spricht, geht es vornehmlich um die Elektro-Sparte in Gestalt des ID3. So konnte man auch auf der letzten IAA schnell vergessen, wer bisher die Cashcow war und noch die nächsten Jahre bleiben soll – nämlich der Klassiker VW Golf. Die neue und damit achte Generation feierte am Donnerstagabend in Wolfsburg ihre Weltpremiere.
Außen ist der Golf sofort als solcher zu erkennen. Seinen kompakten Maßen ist er treu geblieben (4.284 mm lang, 1.789 mm breit und 1.456 mm hoch) – zwei Zentimeter länger, drei Zentimeter niedriger und gleich breit wie der Vorgänger. Die Änderungen finden sich im Detail. So ziert den Frontscheinwerfer nun eine Art Augenbraue, die Richtung Kotflügel ausläuft. Die Schürze ist von horizontalen Linien durchzogen, die serienmäßigen LED-Scheinwerfer sind schärfer geschnitten. Auffällig ist auch die weit nach unten gezogene Motorhaube. Seitlich zieht sich die auffällige Sicke nun bis zum Heck durch, das Dach fällt nach hinten leicht ab. Am Heck sind die Rückleuchten nun schmaler, das VW-Logo sitzt weiter unten.
Wer optisch mehr erwartet hatte, muss wohl akzeptieren, dass der Golf schon immer ein eher schlichtes, konservatives Design verkörperte. Warum dies ändern, wenn man damit seit 1974 weltweit mehr als 35 Millionen Fahrzeuge verkaufen konnte, dachte sich wohl der Hersteller.
Volldigitales Cockpit mit Berührflächen
Während somit rein äußerlich noch eine gewisse Verwechslungsgefahr hinsichtlich des Vorgängers besteht, kann dies im Innenraum kaum passieren. Das Cockpit ist nun - auch in der Basisversion - volldigitalisiert und vernetzt. Laut Medienberichten einer der Gründe, warum sich die Einführung der neuen Generation verschoben hatte. Infotainment-Display (Serie: 8,25 Zoll, optional: zehn Zoll) und digitale Instrumententafel (10,25 Zoll) verschmelzen zu einer Einheit – dafür wanderten die Luftdüsen weiter nach unten. Die Temperatur der Klima und die Lautstärke lassen sich direkt über Touch-Slider vor dem Display einstellen. Das Licht und die Scheibenheizung kann der Fahrer wiederum über eine Bedieneinheit, die auf Berührung reagiert, links vom Lenkrad an- und ausschalten. Richtige Knöpfe haben im neuen Golf Seltenheitswert und finden sich noch am Multifunktionslenkrad und in der Mittelkonsole. Die Sprachsteuerung reagiert in der neuen Generation auf natürliche Kommandos und soll sich damit intuitiv bedienen lassen. Dass der Neue immer online ist, versteht sich von selbst. Optional können Kunden ein Head-up-Display ordern, dass die Informationen direkt in die Windschutzscheibe projiziert.
VW-Chef Herbert Diess sprach bei der Weltpremiere des Golf 8 nicht ohne Stolz von einem "Tablet auf Rädern". Dennoch, es wird Menschen geben, die an mancher Stelle einem einfachen Drehregler nachtrauern werden. Die Smartphone-Generation sollte aber im neuen Golf auf Anhieb zurechtkommen beziehungsweise sich wohl fühlen.
Um den gewachsenen digitalen Ansprüchen zu genügen, ermöglichen eine Online-Connectivity-Unit (OCU) und eine eSIM den Zugriff auf online-basierte Funktionen und Dienstleistungen – das Angebot wird mit der Zeit noch wachsen. Serienmäßig im neuen Golf nutzbar sind "We Connect" (zeitlich unbegrenzt) und "We Connect Plus", in Europa zur kostenfreien Nutzung für ein oder drei Jahre vorgesehen. Für Unternehmen wurde der optionale Service "We Connect Fleet", ein digitales Fuhrparkmanagement, entwickelt. Letzterer bietet Funktionen wie ein digitales Fahrten- und Tankbuch, GPS-Ortung und Routenverlauf, eine Verbrauchsanalyse sowie Wartungsmanagement.
Mit "We Connect" lässt sich das Fahrzeug unter anderem per Smartphone öffnen, starten und absperren. Hinzu kommen beispielsweise Funktionen wie Pannenruf, Fahrzeugzustandsbericht, Parkposition und Service-Terminplanung. "We Connect Plus" ist quasi das Premium-Paket – hier kommen Connectivity-Fans auf ihre Kosten. Der Dienst umfasst zum Beispiel ein Webradio, Medien-Streaming, einen WLAN-Hotspot, eine Online-Diebstahlwarnanlage und eine Online-Standheizung.
VW Golf 8 (2020)
BildergalerieVW Golf 8
Ein Punkt, der Herbert Diess‘ Aussage vom "Tablet auf Rädern" unterstreicht: Der neue Golf 8 lässt sich nicht nur updaten, sondern auch upgraden, sprich nachrüsten. So können Kunden im Nachhinein unter anderem die automatische Distanzkontrolle, den Fernlichtassistenten, einen WLAN-Hotspot und die Sprachbedienung aktivieren. Gleiches gilt für die Funktion "App-Connect", die Smartphone-Apps darstellt, und "Wireless App-Connect", die iPhone-Apps kabellos einbindet. Es ist ein neues Geschäftsfeld, von dem sich die Autobauer viel erhoffen. Und das auch für den Gebrauchtwagenhandel interessant ist: Händler könnten Fahrzeuge für einen besseren Wiederverkauf nachträglich aufwerten.
Hinsichtlich der Assistenzsysteme lässt sich feststellen: Der Golf wird intelligenter. Via Car2X-Kommunikation tauscht er verkehrsrelevante Informationen mit anderen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur aus. Der neue "Travel Assist" ermöglicht das assistierte Fahren bis 210 km/h. Der Fahrer muss eine Hand am Lenkrad belassen – es reicht aber das Berühren. Auch die automatische Distanzregelung "ACC" und den "Front Assist" entwickelten die Wolfsburger weiter.
Vier Ausstattungsvarianten stehen beim Golf 8 zur Wahl: "Golf", "Life", "Style" und "R-Line". Die bisherigen - "Trendline", "Comfortline" und "Highline" - sind damit Geschichte. Bereits die Basis-Version "Golf" ist voll vernetzt. Zur Ausstattung zählen LED-Front- und Rückleuchten, das digitale Cockpit, die Online-Funktionen von "We Connect" und "We Connect Plus" sowie mehrere Assistenzsysteme.
Doch es lohnt sich nicht nur ein Blick in den Innenraum, sondern auch unter die Motorhaube. Neben Benzin-, Diesel-, Erdgas- (CNG) und Plug-in-Hybridantrieben halten nun erstmals Mildhybride Einzug. Letztere, "eTSI" genannt, gibt es in drei Leistungsstufen mit 81 KW/110 PS, 96 kW/130 PS und 110 kW/150 PS. An Bord ist ein 48 Volt-Riemen-Startergenerator, eine 48 Volt-Lithium-Ionen-Batterie und ein Sieben-Gang-DSG-Getriebe. Die bekannten Vorteile der Technologie: Rekuperation, "Segeln" bei komplett abgeschaltetem Motor, elektrisches Boosten für ein schnelleres Anfahren und zu guter Letzt ein geringerer Kraftstoffverbrauch.
Bei den Plug-in-Hybriden stehen nun zwei Modelle zur Auswahl: eine reichweitenoptimierte Version mit 150 kW/204 PS Systemleistung und eine auf Performance ausgelegte "GTE"-Variante mit 180 kW/245 PS. Der Plug-in-Hybridantrieb besteht unter anderem aus einem 1,4-Liter-TSI, einem E-Motor sowie einer Lithium-Ionen-Batterie. Der neue Akku weist einen um 50 Prozent größerer Energiegehalt (13 kWh) auf – profitieren soll davon die elektrische Reichweite. Für Flottenbetreiber interessant: Beide Plug-in-Hybride erfüllen nach Medienberichten die Voraussetzungen für ein E-Kennzeichen. Wichtig hinsichtlich der Umweltprämie und Dienstwagenbesteuerung.
Benziner zunächst als 1,0- und 1,5-Liter-Motor
Die Benziner (TSI) gehen zur Markteinführung in vier Leistungsstufen an den Start: 66 kW/90 PS, 81 kW/110 PS, 96 kW/130 PS und 110 kW/150 PS. Bei den zwei schwächeren Versionen handelt es sich um 1,0-Liter-Dreizylindermotoren, die erstmals im Golf zum Einsatz kommen. Die zwei stärkeren Varianten sind 1,5-Liter-Motoren. Folgen werden drei 2,0-Liter-TSI-Motoren für den Golf GTI, GTI TCR und R sowie ein 1,5-Liter-TGI für den Betrieb mit Erdgas (CNG) und Benzin.
Neu entwickelt hat Volkswagen die zwei Turbodieseldirekteinspritzer (TDI). Die 2,0-Liter-Aggregate leisten 85 kW/115 PS und 110 kW/150 PS. Beide TDI-Motoren werden mit Schaltgetriebe sowie DSG und im Fall der 150-PS-Version mit dem Allradantrieb 4Motion bestellbar sein. VW verspricht einen verringerten CO2-Ausstoß; mittels eines neuen Twindosing-SCR-Systems mit doppelter AdBlue-Einspritzung sollen zudem die Stickoxid-Emissionen um bis zu 80 Prozent im Vergleich zum Vorgänger reduziert werden.
Die ersten Golf 8 rollen im Dezember zu deutschen und österreichischen Händlern. Anfang 2020 sind die europäischen Märkte wie Italien und Frankreich an der Reihe, bevor die neue Generation auch in Übersee vermarktet wird. Für nächstes Jahr hat VW außerdem die eigenständigen Modelle Golf GTI, TCR, GTD, GTE und R angekündigt. Das Leistungsspektrum wird, wenn alle Motoren auf dem Markt sind, zwischen 66 kW/90 PS und mehr als 221 kW/300 PS liegen (Golf R). Über die Preise des neuen Modells ist offiziell noch nichts bekannt – sie dürften bei etwa 20.000 Euro starten.
Fazit: Mildhybrid, digitales Cockpit, Online-Upgrades - ganz neu ist das alles nicht in der Automobilwelt. Doch in der Kompaktklasse setzt VW damit neue Standards. Beste Voraussetzungen, um die Erfolgsgeschichte des VW Golf auch in der achten Generation fortzuführen. Auch wenn mit dem vollelektrischen ID3 die Konkurrenz im eigenen Haus groß ist.
AE
S. Tertz