Große Kombis sind in Deutschland noch immer gefragt. Elektroautos per se? Geht so. Große Elektro-Kombis? Naja. Die Kombination aus Elektroantrieb und Kombiform ist noch selten: Nio ET5 Touring, Peugeot e-308 SW und sein Bruder, den Opel Astra-e Sports Tourer, sowie BMW i5 Touring und eben Audi A6 Avant e-tron. Den ersten E-Kombi, den MG5, vergessen wir mal. Hat auch MG getan und gerade den Nachfolger vorgestellt – ein SUV. SUV, Crossover und generell „Hochsitzzeug“ gehen besser weg.
Weltweit scheint die Zeit der Kombis gezählt. Kaum einer schätzt den großen Kofferraum, der jedoch – das muss erwähnt werden – oft kaum größer ist als der in der vergleichbaren Limousine (sofern nicht umgeklappt wird). Was also liegt näher, als einen in Fuhrparks sehr relevanten E-Kombi mit einem Crossover-Newcomer (Marke wie auch Konzept) zu vergleichen und zu schauen: Muss es immer der Kombi sein?
Audi A6 Avant e-tron vs. Polestar 4

Kombi-Tugenden für den Polestar 4
Bei uns treten der neue A6 Avant e-tron gegen den Polestar 4 an. Audi war nie bekannt dafür, große Ladevolumen im schönen Avant-Heck bereitzustellen. Daran hat sich, wie auch am Audi-Design, nicht viel geändert. Der A6 Avant e-tron ist ein elegantes Automobil und bietet trotz neun Zentimeter mehr Außenlänge weniger Kofferraumvolumen als der Nicht-Kombi von Polestar. Gut 20 Liter mehr passen ins P4-Heck – zählt man den Frunk (also den Mini-Kofferraum unter der Fronthaube), den beide haben, hinzu, herrscht unentschieden. Klappt man alles im Audi um, ergeben sich lediglich 1.422 Liter. Das ist unterdurchschnittlich und weniger, als in einen 4,70 Meter langen E-Astra-Kombi passen, der auch nicht als Ladewunder bestaunt wird. Der Polestar 4 packt gut 100 Liter mehr ein.
Das besondere Heck des Polestar 4, der keine – also wirklich keine – Heckscheibe besitzt, schlägt hierbei nicht negativ ins Kontor. Vor allem unter der Betrachtung der Abmessungen: Beide sind fette Dinger – speziell die Breite bereitet im Alltag echte Probleme. Mit Spiegeln sind sie sich einig: 2,14 Meter – damit ist ab und an offiziell die linke Spur in Autobahnbaustellen tabu. Wer die Spiegel einklappt – nicht angeraten auf der Autobahn – reduziert die Breite des Audi auf noch immer stattliche 1,93 Meter. Der chinesisch-schwedische Kontrahent kann nur die Spiegelkörper eindrehen, die Arme stehen wie beim Tyrannosaurus ab und alles zusammen misst noch immense 2,07 Meter.
Hinten mehr Platz im Polestar 4
Klettern wir in den Fond. Hier sitzt es sich im Polestar 4 nicht nur angenehmer (besserer Beinwinkel und angenehmere Sitzposition), man hat auch spürbar mehr Platz als im Audi A6 e-tron – zumindest für die Beine. Eng ist es auch im Ingolstädter nicht. Die harten Sitzpolster und die froschartige Beinhaltung sind jedoch weniger langstreckentauglich.
Dafür sitzt man im Polestar 4 im Dunklen. Wer für 500 Euro die überteuerten eingeschwärzten Scheiben bestellt, müsste auch tagsüber Leselicht einschalten, wenn nicht durch das serienmäßige Glasdach die Sonne hereinlachen würde – ab und an auch zu intensiv. Für 1.900 Euro extra gibt es ein "elektrochrom verdunkelbares" Glasdach – auch teuer. Eine feine Jalousie (aka Rollo) täte es einfacher, günstiger und womöglich sogar besser. Im A6 kommt auf Wunsch auch Licht hinein. 2.300 Euro kostet das Glasdach, welches sich in Segmenten "milchig" schalten lässt – zu öffnen ist keins der beiden.

Wo ist die Heckscheibe im Polestar 4?
Im direkten Vergleich merkt man, wie sinnvoll eine Heckscheibe sein kann, vor allem im innerstädtischen Verkehr, beim Rangieren und Abbiegen. Denn an das schwarze Loch aufgrund der fehlenden Heckscheibe im Polestar 4 muss sich der Fahrer definitiv gewöhnen. Mehr als 2.000 Kilometer und zwei Wochen haben uns nicht gereicht, um überzeugt zu werden. Der Monitor, der den Innenspiegel ergänzt (es ist noch immer eine manuelle Umschaltfunktion zum Spiegel für Blick auf die Rückbank vorhanden), hat keinen Vorteil, wohl aber einige Nachteile. Der Abstand zum rückwärtigen Verkehr muss neu „justiert“ werden. Bei Nacht ist es oft zappenduster. Das Monitorbild ist dann körnig (kennt man von Fotokameras) und – je nach Sehschärfe, wäre eine Lesebrille hilfreich. Denn man schaut beim Monitor nicht mehr in die Ferne – wie beim Blick in den Rückspiegel –, sondern eben auf einen Monitor, und die Augen müssen sich von der Weitsicht (Blick nach draußen) jedes Mal neu auf die Nahsicht (Blick auf den Bildschirm) fokussieren. Frage an alle: Warum gibt es wohl so ein geniales Ausstattungsdetail wie das Head-up-Display? Und Frage an Polestar: Wozu all das? Antwort: Design. Zugegeben, der Polestar 4 sieht mega aus. Weitere Antwort: Bessere Kopffreiheit hinten? Irrelevant. Im Audi ist es am Kopf auch luftig, und hässlich ist auch der Avant nicht.
Hohe Sitzposition im Audi A6 Avant e-tron
Vorn sitzt es sich auf dem sehr festen Audi-Sportgestühl besser als auf dem weichen Plastikbezug des Polestar 4. Im Polestar 4 gibt es allerdings die bessere Sitzposition, denn im Audi sitzt man „hoch auf dem gelben Wagen“ und kommt sich eher wie in einem Crossover vor. Der Dank geht an die riesigen Akkus im Unterboden, die rauben Platz und "spenden" Sitzhöhe. Ideal sitzt es sich in beiden Fahrzeugen nicht. Da findet sicherlich jeder eine bessere Sitzposition in einem Golf oder Octavia.
Die Einrichtung der beiden ist schnell erklärt: Hier deutsch, strukturiert und sachlich; dort skandinavisch unterkühlt – reine Geschmackssache also. Die meisten werden sich mit der Bedienung im Audi schneller anfreunden können. Hier gibt es sinnvolle Shortcuts, einige Tasten, und man hat eine übersichtlichere Anzeige, wenngleich auch im Audi viele Details zu klein angezeigt werden. Im Polestar nerven Dinge wie die Spiegel- und Lüfterdüsenverstellung sowie das Öffnen des Handschuhfachs via Display-Touch und zusätzlicher Aktivität über das Lenkrad-Bedienkreuz. Was soll der Unsinn? All das finden Neulinge gar nicht und auch beim Verstellen der Dinge während der Fahrt ist es mega ablenkend.

Das Thema mit der Qualität
Bei der Materialanmutung macht der Polestar 4 den besseren Eindruck. Nichts knarzt und die Zurückhaltung beim Materialmix sieht hochwertiger aus als im A6 e-tron. Hier gibt es nach wie vor kratzempfindlichen Klavierlack auf der großen Mittelkonsole und keine Möglichkeit, diesen durch Holz, Stoff, Leder, Alu … zu ersetzen. Liebe Audi Controller: Hier wurde am falschen Ende gespart. Die kapazitiven Bedienelemente lassen sich im Audi wie im Polestar gleichermaßen schlecht bedienen – Audi hat jedoch noch mehr davon installiert und auch diese knarzen gern mal.
Beim Thema Sound spendierte Audi dem A6 das mittlere Soundsystem von B&O – klasse, vor allem für 490 Euro (wenn einige Grundvoraussetzungen bestellt wurden). Aber auch das serienmäßig im Polestar 4 eingebaute System ohne Namen ist tadellos. Den Mehrpreis für das im Plus-Paket (5.500 Euro) erhältliche Harman-Kardon-System könnte man sich also schenken. Wenn, ja wenn im Plus-Paket nicht Dinge wie die Lenkradheizung, das 22-kW-Laden und das Matrixlicht inkludiert wären. Alles Details, die es einzeln nicht gibt. 22 kW als maximale AC-Ladeleistung gibt es beim Audi A6 e-tron noch gar nicht. Ein echtes Manko, das erst zum Jahreswechsel behoben werden soll.
Preislich startet der Polestar 4 bei 62.000 Euro als Polestar 4 Long Range Single Motor. An Bord sind stets ein 100-kWh-Akku, 272 PS Leistung, 343 Newtonmeter Drehmoment und Heckantrieb. Eine solide Ausrüstung, um auf der Elektro-Langstrecke erfolgreich zu sein – und für nichts anderes ist der Polestar 4 gemacht. Bei rund 2,2 Tonnen Leergewicht ist das eine vernünftige Kraftversorgung und keineswegs überbordend. Wer möchte, sprintet in sieben Sekunden auf Tempo 100 und kann am Ende doppelt so schnell werden. Der Anlauf benötigt allerdings etwas Strecke. Beim Schnellfahren fällt jedoch auf, dass der P4 nicht immer zum Schnellfahren gemacht ist. Das Fahrwerk pumpt bei schnell genommenen Autobahn-Bodenwellen (Tempo Ü 160) regelrecht und selbst auf der Geraden kommt nie komplette Ruhe in den in Chinesen. Grund dafür könnten auch die eigentlich guten Conti-Winterreifen im 20-Zoll-Format sein – Minimalbereifung im Polestar 4, in dem Fall eben mit hohen Profilblöcken. Abhilfe könnte das Performance-Paket für weitere 4.500 Euro schaffen. Dann gibt es 22-Zöller in Kombination mit Brembo-Bremsen und einem adaptiven Fahrwerk.
Der Audi kam als „Edition One Blue“ (10.550 Euro Aufpreis) samt Luftfederung nach München. Die 21-Zoll-Mischbereifung (hinten 275er) kostet nochmals 2.740 Euro mehr. Und ist eventuell der Grund dafür, dass auch das Setup nicht überzeugen konnte und sich gefühlt ein 200-PS-Passat deutlich harmonischer auf der Autobahn bewegt. Auch der Audi tänzelt bei hohem Tempo und kommt nie zur Ruhe. Ob das den geneigten E-Auto-Fahrer stört, darf infrage gestellt werden. Zu selten fahren Elektromobilisten Geschwindigkeiten von mehr als 160 km/h.