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Automatisiertes Fahren: "HU wird sich deutlich verändern"

19.09.2022 04:59 Uhr | Lesezeit: 13 min
Automatisiertes Fahren: "HU wird sich deutlich verändern"
Zeigten seitens der GTÜ in Frankfurt die notwendigen gesetzgeberischen und technischen Veränderungen für die Kfz-Hauptuntersuchung in den kommenden Jahren auf (v.l.): Technischer Leiter Marco Oehler, CEO Robert Köstler und Unternehmenskommunikations-Chef Frank Reichert.
© Foto: Walter K. Pfauntsch

Vermehrte automatisierte Fahrfunktionen auf dem Weg zum autonomen Kfz fordern Hersteller und Prüforganisationen. Die GTÜ hält deshalb die Schaffung neuer gesetzlicher Voraussetzungen inklusive eines geregelten Zugriffs auf sämtliche Systeminformationen zu sicherheits- und umweltrelevanten Komponenten für unabdingbar.

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"Die amtliche Hauptuntersuchung wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern", konstatierten anläßlich der GTÜ-Pressekonferenz auf der Automechanika in Frankfurt Geschäftsführer Robert Köstler und Technischer Leiter Marco Oehler. Denn je umfangreicher die Softwaresysteme in den Fahrzeugen verbaut werden, desto anspruchsvoller falle auch die Prüfung aller sicherheits- und umweltrelevanten Fahrzeugsysteme aus.

In ihrem Ausblick auf die HU im Jahr 2030 wiesen Köstler und Oehler unter dem Stichwort "Remoteunterstützung" beispielsweise darauf hin, dass sich bei PCs längst eine Fehlerbehebung aus der Ferne durchgesetzt habe. Eine remoteüberwachte Prüfung könnte nach deren Ansicht "auf ähnliche Weise zur HU für automatisierte, vernetzte Fahrsysteme gehören". Der Zugang zu Fahrzeugdaten wäre denkbar über sichere Onboard-Diagnose- und Remote-Schnittstellen. Ähnliches gelte auch für die Überwachung automatisierter und vernetzter Fahrsysteme. "Hier werden szenariobasierte Prüfungen immer wichtiger. Und bei Prüfungen der Fahrzeugemissionen wird sich voraussichtlich das Blickfeld noch einmal erweitern", so Köstler.

Der derzeit noch amtierende GTÜ-Chef (siehe auch heutige Folgemeldung) zeigte sich zudem überzeugt davon, dass die Überwachungsorganisationen künftig weiter an Bedeutung gewinnen – "ganz im Sinne eines nachhaltigen Schutzes von Menschen und Umwelt und eingebettet in einen modernen, innovationsfreundlichen Rechtsrahmen".

Herausforderung Automatisierung

Die zunehmende Einführung von Funktionen des automatisierten Fahrens schaffe ebenfalls neue Herausforderungen für Fahrzeughersteller sowie Prüforganisationen. Unterschieden werden bekanntermaßen mehrere Stufen (SAE-Level 1 bis 5), wovon erste Fahrzeuge auf deutschen Straßen derzeit mit Level 3 unter klar geregelten Vorgaben unterwegs sind. Die höchste Ausbaustufe (Level 5) bezeichnet dabei das autonome, also fahrerlose Fahren, das allerdings Konzernverantwortliche wie beispielsweise der Vorstandsvositzende von Volkswagen und Porsche, Oliver Blume, u.a. wegen noch zu klärender Rechtsfragen nicht vor dem nächsten Jahrzehnt für realistisch auf deutschen Straßen halten.

Bedeutung der FAS-Überprüfung wird wichtiger

Von daher schätzt auch GTÜ-CEO Robert Köstler, dass Assistenzsysteme (FAS) sicherlich ein "noch wichtigerer Teil der künftigen Hauptuntersuchung sein" werden. Bereits beim Weg "in die Fahrzeuge hinein" unterstütze die GTÜ mit ihrem Technischen Dienst bei der Homologation der Systeme, um eine dauerhaft zuverlässige und sichere Funktion zu gewährleisten. Dazu gehöre auch das Ausarbeiten entsprechender Prüfverfahren im Schulterschluss mit den Fahrzeugherstellern und Zulieferern. Zunehmende Bedeutung erhalte hierbei auch das Thema Cyber Security, auf das sich  die GTÜ gemeinsam mit ihrem Tochterunternehmen ATEEL S.à.r.l. in Luxemburg schon frühzeitig spezialisiert habe.

Worauf es allerdings bereits jetzt und für die kommenden Jahre ankomme, sei die Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen für die Prüfung der Fahrzeuge. "Dazu gehört ein geregelter Zugriff auf sämtliche Systeminformationen zu sicherheits- und umweltrelevanten Komponenten, damit die Prüforganisationen ihrer hoheitlichen Aufgabe umfassend nachkommen können", so Köstler.

Positive Entwicklung bei Umatz und Marktanteil

Zusammen mit Marco Oehler berichtete er indes auch vom Status quo der Stuttgarter Prüf- und Überwachungsorganisation, die als heute größte amtlich anerkannte Kfz-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kraftfahrzeugsachverständiger in Deutschland 2021 einen HU-Marktanteil von 16 Prozent bei rund 4,8 Mio. Hauptuntersuchungen sowie einem Umsatz von 475,69 Mio. Euro (+ 9,0 Prozent zum Jahr davor) erreicht habe.

Für das laufende Jahr 2022 habe man sich als Umsatzziel die halbe Milliarde Euro fest vorgenommen und sei zuversichtlich, diesen Fokus über alle amtlichen Bereiche und Tätigkeiten des Technischen Dienstes sowie nichtamtliche Tätigkeiten wie etwa Sachverständigen-Dienstleistungen zu generieren. Einen wichtigen Beitrag zum avisierten Ergebnis leisten laut Köstler auch die Tochtergesellschaften GTÜ Anlagensicherheit, GTÜ Prüfmittelservice, GTÜ ATEEL AG und GTÜ-Zertifizierungsstelle. Er dankte deshalb ausdrücklich allen Partner:innen und Mitarbeitenden für deren "großartigen Einsatz in einem seit mehr als zwei Jahren volatilen Umfeld". Trotz Coronapandemie, Lieferengpässen, Ukrainekrieg und seinen Folgen auf die globale, europäische und auch die deutsche Wirtschaft sehe man "aufgrund unserer eigenen positiven Entwicklung zuversichtlich in die Zukunft".

Neben den rund 4,8 Mio. HU führt die GTÜ weitere gesetzlich geregelte Untersuchungen durch, so dass sie 2021 auf insgesamt 8,26 Mio. kam und für 2022 die Zahl von 8,40 Mio. anstrebt. "Im klassischen Prüfgeschäft nimmt die GTÜ unverändert die Position des Marktführers unter den freiberuflichen Überwachungsorganisationen ein. Im Gesamtgefüge der Vielzahl der Überwachungsinstitutionen steht sie an dritter Stelle", so Marco Oehler auf der Pressekonferenz in Frankfurt. Innerhalb des gesetzlich geregelten Geschäftsbereichs der GTÜ verzeichne der Technische Dienst "erhebliche Zuwächse", beispielsweise mit Einzelgutachten. Er legte von 23.829 Untersuchungen noch im Jahr 2019 auf 39.445 im Jahr 2020  zu und steigerte sich im Jahr 2021 weiter auf 48.322 Gutachten.

Batterietest ermittelt Akkuzustand von E-Autos

Ein noch junges Beispiel im GTÜ-Portfolio als Komplettdienstleister ist die Kooperation mit Aviloo, einem Spezialisten für die Zustandsbestimmung und Bewertung der Antriebsbatterie eines Elektroautos. Mehr als 50 Prozent des Fahrzeugwerts stecken in der Batterie, die aber mit der Zeit an Leistung verliert. Der einfach durchzuführende Aviloo-Test erfasse den Batterie-Zustand exakt und informiere präzise zur jeweils aktuellen Leistungsfähigkeit eines E-Autos, womit auch dessen Fahrzeugwert beispielsweise beim GW-Ankauf gut einschätzbar werde. 

Partnernetzwerk wächst weiter

Das bundesweite Netzwerk der GTÜ-Partnerbüros im Kfz-Bereich ist 2021 auf 991 Büros erneut gewachsen. Aktuell sind es 1.005 Büros (plus 256 Zweigstellen). Gut 5.000 selbständige und hauptberuflich tätige Sachverständige, Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure sowie deren qualifizierte Mitarbeitende stehen demnach an über 10.400 Prüfstützpunkten in Werkstätten und Autohäusern sowie an eigenen Prüfstellen der GTÜ-Vertragspartner zur Verfügung.

Unbürokratisch geholfen haben Organisation und Partnerbüros darüberhinaus bei der Flutkatastrophe im Ahrtal mit 100.000 Euro als direkter finanzieller Unterstützung u.a. für die "Aktion Deutschland hilft" sowie weiteren Sach- und Geldspenden, Schutzausrüstung, Reinigungs- und Bautrocknungsgeräten etc.

Pkw-Durchschnittsalter jetzt bei 9,8 Jahren

Was aber wäre eine Pressekonferenz einer technischen Überwachungsorganisation, in der nicht auch aktuelle Zahlen zu den Mängelquoten mit auf den Tisch kämen? Die GTÜ hat vergangene Woche in Frankfurt auch dazu Stellung genommen und eingangs als wichtige Erkenntnis festgehalten, dass das Durchschnittsalter der in Deutschland zugelassenen Pkw seit 2018 (9,4 Jahre) bis 2021 auf 9,8 Jahre weiter angestiegen ist. "Dass die Fahrzeuge ein höheres Alter erreichen, dürfte nicht zuletzt mit der engmaschigen Überwachung zu tun haben", ist Geschäftsführer Robert Köstler überzeugt.  Regelmäßige und gründliche Untersuchungen würden seiner Ansicht nach aber auch dazu beitragen, "dass die Zahl der geringen und erheblichen Mängel in den vergangenen Jahren rückläufig ist".

In den meisten Fällen der im Vorjahr 4,8 Mio. HU durchlaufen die Fahrzeuge die Prüfung auch tatsächlich mängelfrei. Bei knapp 1,5 Millionen Fahrzeugen (ca. 31 Prozent) wurden rund 3,8 Millionen Mängel festgestellt. Denn wenn ein nicht mängelfreies Fahrzeug bei der HU vorgeführt wird, finde sich meist mehr als ein Mangel. Pkw mit dem Prüfergebnis "erhebliche Mängel" weisen deshalb im Schnitt 3,38 Mängel und Pkw mit dem Prüfergebnis "geringe Mängel" durchschnittlich 1,50 Mängel auf.

Bei der Auswertung dieser Hauptuntersuchungen zeige sich ferner, dass die Liste der zehn häufigsten Mängel im Jahr 2021 jenen der Vorjahre ähnelt. Es komme nur zu leichten Verschiebungen: So nähmen die Bremsmängel einen etwas geringeren Anteil ein, ebenso die Mängel der lichttechnischen Einrichtungen sowie die umweltrelevanten Bauteile der geprüften Fahrzeuge. Zahlreiche Mängel notierten die Prüfingenieure ebenso in den Gruppen Achsen, Rädern, Reifen, Aufhängungen oder Fahrgestell und Rahmen.

E-Fahrzeuge bei der HU

Seit einigen Jahren rollen vermehrt zwei ganz neue Fahrzeuggruppen zu den Prüfstützunkten: rein elektrisch angetriebene Autos (BEV) sowie Plug-in-Hybride (PHEV). Zu Jahresbeginn 2022 waren beim Kraftfahrbundesamt 618.000 BEV sowie 1,6 Millionen PHEV registriert. Tendenz stark steigend: Im ersten Halbjahr 2022 wurden nahezu ebenso viele BEV und PHEV zugelassen wie im gesamten Jahr 2021.

In der Regel nach drei Jahren ist auch bei diesen Fahrzeugen die erste HU fällig, einige haben bereits die zweite hinter sich. Trends lassen sich schon jetzt erkennen: Grundsätzlich unterscheiden sich die Mängel in den Hauptgruppen im Vergleich zu den reinen Verbrennern, vor allem im Bereich der "Umweltbelastung", bei "Fahrgestell, Rahmen, Aufbau; daran befestigte Teile" sowie der Hauptbaugruppe "Achsen, Räder, Reifen, Aufhängung". So schneiden Elektrofahrzeuge noch besser ab als Verbrenner, weil in ihnen die Zahl der Antriebskomponenten geringer ist und die bei Verbrennern klassischen Mängel wie "Undichtigkeiten bei Motor und Getriebe" oder Mängel an "Motormanagement- und Abgasreinigungssystem" bauartbedingt nicht auftreten.

HU-Anpassungen auch bei E-Fahrzeugen nötig

Erhebliche Mängel wurden von 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2022 bei 6,73 Prozent der Fahrzeuge mit Otto- oder Dieseltriebwerken bei den jungen Fahrzeugen (Alter bis sieben Jahre) notiert, gegenüber 4,47 Prozent bei den E-Fahrzeugen. Immerhin sind 88,89 Prozent der Verbrenner und 92,48 Prozent der E-Fahrzeuge in ihren jungen Jahren mängelfrei.

"Angesichts der Tatsache, dass mit den Jahren die erheblichen Mängel stark zunehmen, sind diese Zahlen bereits ein klares Indiz dafür, dass die periodische Fahrzeugüberwachung auch in Zukunft eine elementare Rolle im Sinne der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes spielen wird. Zudem muss der Umfang der Untersuchungen bei den BEV in Zukunft entsprechend der technologischen Notwendigkeiten in der HU-Richtlinie angepasst werden", sagte Robert Köstler.

Hürden vor der neuen Partikelmessung für Euro-6-Diesel

Für alle Fahrzeuge mit dem besonders schadstoffarmen Euro-6-Dieselmotor wird zum 1. Januar 2023 eine spezielle Partikelmessung zur Pflicht. "Doch noch fehlen in den Prüfstellen die dazu passenden Geräte, und eine flächendeckende Auslieferung bis zum erforderlichen Starttermin erscheint aus heutiger Sicht fraglich", wurde dazu gegenüber den Pressevertretern verlautbart. Durch das neue Messverfahren werde zwar eine deutliche Steigerung der Messgenauigkeit erreicht, der auch "einen signifikanten Beitrag zur Einhaltung der Ziele zur Luftreinhaltung in Deutschland" leisten werde. Wie aber auch in vielen anderen Industriezweigen werde den Herstellern der Prüfmittel die Produktion der entsprechenden Geräte unter anderem wegen fehlender Elektronikbauteile erschwert. Auch hier sorgten die vielschichtigen Pandemieauswirkungen sowie der Ukrainekrieg für Lieferengpässe.

Zudem stehen bei manchen Geräten die Bauartzulassungen noch aus. Noch sei der 1. Januar 2023 als Starttermin für die differenzierten Abgasmessungen fixiert. Eine Übergangslösung werde derzeit jedoch bereits mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und den Ländern abgestimmt, damit unter den gegebenen Voraussetzungen dennoch das Höchstmaß an Umweltkonformität sichergestellt werden könne.

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