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Interview zur Barrierefreiheit: Was Autohäuser jetzt beachten müssen

29.06.2025 08:15 Uhr | Lesezeit: 3 min
Laptop mit Icons rund um Barrierefreiheit
Durch das BFSG sollen alle Menschen gleichberechtigt am Wirtschaftsleben teilhaben können.
© Foto: stock.adobe.com - Bilal Ulker

Am 28. Juni 2025 ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft getreten. Unternehmenswebsites müssen nun für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt zugänglich sein. Was Autohäuser jetzt beachten müssen, erklärt Markus Winges, Geschäftsführer von Carnomy, im Interview.

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AH: Herr Winges, das BFSG gilt ab Juni europaweit. Was bedeutet das konkret?
M. Winges: Das BFSG ist Teil der europäischen Richtlinie zur Barrierefreiheit, auch European Accessibility Act oder EAA genannt. Damit sollen alle Menschen gleichberechtigt am Wirtschaftsleben teilhaben können. Um dies zu ermöglichen, müssen verschiedene Produkte und Dienstleistungen einschränkungsfrei genutzt werden können. Dazu zählen neben Hardware und Endgeräten auch Software wie Apps, Betriebssysteme und die Website eines Unternehmens.

AH: Wie viele User sind davon betroffen?
M. Winges: Mehr als die meisten im ersten Moment vielleicht denken. Laut WHO haben 16 Prozent aller Menschen weltweit körperliche oder kognitive Einschränkungen. In Deutschland sind es laut Statistischem Bundesamt 9,4 Prozent oder 7,8 Millionen. Das ist auch für den Autohandel ein ernst zu nehmender wirtschaftlicher Aspekt.

AH: Worauf kommt es bei einer Website vor allem an?
M. Winges: Jede Website sollte unabhängig vom BFSG eine gute Usability haben. Daher gibt es bereits gewisse Standards, zum Beispiel, dass man durch den Klick auf das Logo wieder zur Startseite gelangt. Damit die visuelle Barrierefreiheit gewährleistet ist, sollten Texte gut lesbar sein sowie Farben und Kontraste entsprechend abgestimmt werden. Auch eine leicht nachvollziehbare Seitennavigation ist eine Grundvoraussetzung.

AH: Welche Aspekte gibt es noch?
M. Winges: Videos sollten unbedingt mit Untertitel, am besten in mehreren Sprachen, versehen werden. Für Personen mit kognitiven Einschränkungen gibt es zudem die Möglichkeit, Texte durch einen Klick in leicht verständlichen Worten einzublenden. Dazu können auch Grafiken komplett ausgeblendet und der Text größer angezeigt werden. Ein wichtiger Punkt ist auch das Audiovisuelle, also die Vertonung für Screenreader, damit der Text automatisch vorgelesen werden kann. Für Bilder gibt es sogenannte Aria-Labels. Hier werden beschreibende Texte zu Bildinhalten vorgelesen.

Porträt von Markus Winges, Geschäftsführer von Carnomy
© Foto: Carnomy

"Eine Internetseite muss gänzlich über die Tastatur steuerbar, lesbar, hörbar und erkennbar sein."

Markus Winges, Geschäftsführer von Carnomy

AH: Lässt sich das auf einer Website abbilden, ohne dass das Design darunter leidet?
M. Winges: Das geht. Beim Visuellen genügt es oft schon, mit Inversfarben zu arbeiten oder den Hintergrund abzudunkeln, damit die Schrift besser zur Geltung kommt. Bei audiovisuellen Elementen unterstützt uns immer häufiger künstliche Intelligenz, beispielsweise durch automatische Untertitelung oder multilinguale Voice-Bots. Generell gilt: Eine Internetseite muss gänzlich über die Tastatur steuerbar, lesbar, hörbar und erkennbar sein.

AH: Ist das bei der Autohaus-Website noch anspruchsvoller als in anderen Branchen?
M. Winges: Autohaus-Websites müssen sehr viele Funktionen erfüllen. Neben der schnellen Wissens- und Informationsvermittlung sind viele Systeme angeschlossen: das DMS, Tools für den Hereinnahmeprozess, Leasing und Finanzierung, Teileshop, Onlineterminvereinbarung, Mietwagen und noch vieles mehr. Diese Dienste und Bereiche müssen beim BSFG ebenfalls berücksichtig werden, was die Sache noch umfangreicher macht.

AH: Wie kann festgestellt werden, ab wann eine Website gemäß BFSG barrierefrei ist?
M. Winges: Dafür gibt es im Visuellen feste ISO-Normen, die das Verhältnis und den Einsatz von Komplementär-farben, hohen Kontrastwerten und Schriftgrößen regeln. Selbst Google hat schon vor Jahren gewisse Regularien in Bezug auf die Lesbarkeit von Internetseiten als Ranking- oder Qualitätsfaktor herausgebracht. Beim Cumulate Layout Shift oder CLS werden Seiten, deren Schrift beim Laden von Seiten-Elementen springt oder verwischt, niedriger gerankt.

AH: Müssen die notwendigen Tools extra programmiert werden?
M. Winges: Glücklicherweise gibt es mittlerweile viele Out-of-the-box-Lösungen. Zum Beispiel nutzen wir Script-Plug-ins. Diese basieren auf bestimmten Algorithmen und lesen dann zum Beispiel vorhandene Wörter oder Texte vor. Das alles händisch zu programmieren, würde jeden finanziellen Rahmen sprengen.

AH: Viele Nutzer surfen mit Mobilgeräten. Macht das einen Unterschied?
M. Winges: Wenn eine Seite eine mobile Ansicht hat und somit responsiv ist, muss man sich zusätzlich Gedanken machen, wie auf dem Smartphone die Navigation eingeblendet wird, ob es Animationen gibt, ob die Schriftgröße stimmt usw. Die Usability ist bei responsiven Seiten auch ohne BFSG ein wichtiges Thema. In meinen Augen ist hier „Minimalismus“ eine gute Norm: Alle Inhalten müssen verständlich sein ohne unnötige Ablenkungen.


Mehr Infos zum BFSG

Alle Infos zum BFSG gibt es auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: www.bmas.de



AH: Was sind die technischen Voraussetzungen, damit eine Website barrierefrei ist?
M. Winges: Die meisten Endgeräte wie PCs, Smartphones und Tablets haben sogenannte Bedienungshilfen in ihren Einstellungen. Damit können von Geräteseite schon viele Funktionen wie Textvergrößerung, hoher Kontrast oder Stimmsteuerung aktiviert werden. Hat das Endgerät das nicht, gibt es auf der Website einen Button, der ein Menü aktiviert. Dort können die Nutzer die Seite individuell an ihre Bedürfnisse anpassen. Das alles erfordert technischen und finanziellen Aufwand, aber es ist ein Segen für die Betroffenen.

AH: Mit welchen Kosten muss man als Seitenbetreiber rechnen?
M. Winges: In der Regel sollte man je nach Agentur noch einmal mit drei bis zehn Prozent der Gesamtkosten einer Website kalkulieren. Die Bewertung der Seite durch externe Dienstleister in Bezug auf das BSFG liegen bei rund 300 bis 1.000 Euro je nach Aufwand und Dienstleister bzw. Prüfstelle.

AH: Jetzt haben wir vor allem über die Website gesprochen. Wie sieht es denn vor Ort im Autohaus aus?
M. Winges: Da gibt es ebenso digitale Prozesse, beispielsweise bei Service- oder Kassen-Terminals. Auch hier muss das Display gut lesbar und die Bedienung einfach sein. Dazu kommen auch analoge Themen wie Verkaufsunterlagen in Großschrift und leicht verständlicher Sprache. Und natürlich auch die räumlichen Anforderungen wie barrierefreie Gebäudezugang oder beschilderte Wegleitungssysteme innerhalb des Autohauses.

AH: Wer kümmert sich im Unternehmen darum, dass das BFSG eingehalten wird?
M. Winges: Unternehmen mit 400 Mitarbeitenden und mehr benötigen einen Barrierefreiheitsbeauftragten. Der- oder diejenige muss bei der zuständigen IHK eine spezielle Ausbildung machen, denn es kommen jährliche neue Regularien dazu. Wie so oft gilt auch hier: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Allerdings endet am 28. Juni 2025 auch eine immerhin sechsjährige Übergangsphase, in der sich die Unternehmen vorbereiten konnten.

AH: Wie hoch können die Strafen ausfallen?
M. Winges: Also im Extremfall kann das bis zu 100.000 Euro gehen. Dafür müssen aber neben den digitalen auch die physischen Anforderungen komplett missachtet werden. Zudem kann das Ordnungsamt verlangen, dass eine Seite komplett abgeschaltet oder sogar der gesamte Betrieb geschlossen werden muss. Doch bereits Geldstrafen im vier- oder fünfstelligen Bereich schmerzen, vor allem, weil sie sich leicht verhindern lassen.

AH: Kann man sich als Händler dagegen absichern?
M. Winges: Man kann von privaten und staatlichen Institutionen die Website ähnlich wie beim Datenschutz juristisch prüfen lassen. Sind alle Anforderungen erfüllt, wird ein entsprechendes Zertifikat ausgestellt. Wenn man sich nicht sicher ist, ob alles BFSG-konform ist, sollte man sich am besten bei einer Agentur, der IHK oder einem Verband Hilfe holen.

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KOMMENTARE

Böhmer

07.07.2025 - 12:45 Uhr

Da ist leider eine Fehlinformation in Ihrem Interview-Artikel: In Deutschland ist kein BFSG-Beauftragter vorgeschrieben. Diese Vorschrift betrifft nur Österreich! In folgender Passage befindet sich der Fehler: "H: Wer kümmert sich im Unternehmen darum, dass das BFSG eingehalten wird? M. Winges: Unternehmen mit 400 Mit- arbeitenden und mehr benötigen einen Barrierefreiheitsbeauftragten. Der- oder diejenige muss bei der zuständi- gen IHK eine spezielle Ausbildung ma- chen, denn es kommen jährliche neue Regularien dazu. Wie so oft gilt auch hier: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Allerdings endet am 28. Juni 2025 auch eine immerhin sechsjährige Übergangsphase, in der sich die Unter- nehmen vorbereiten konnten."


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