Von Sven Gösmann und Julian Weber
Oliver Blume steht an der Spitze zweier deutscher Automobil-Ikonen: Porsche und Volkswagen. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Blume über die aktuellen Herausforderungen der Branche: Vom geplanten Aus für Verbrennungsmotoren über die gewaltigen Sparpläne im Konzern bis hin zur Zukunft des Standorts Deutschland. Und darüber, warum seine Doppelrolle nicht für die Ewigkeit ist.
Herr Blume, Sie waren zum Autogipfel im Bundeskanzleramt. Sie halten das Verbrenner-Aus 2035 aus heutiger Sicht für unrealistisch.Welche Maßnahmen braucht es, dass Sie sagen: Die Politik ist auf dem richtigen Weg und unterstützt die Autoindustrie an der richtigen Stelle?
Oliver Blume: Für den Volkswagen-Konzern ist maßgebend, in welchem Zeitrahmen die CO2-Ziele realistisch erreicht werden können. Losgelöst von Ideologien und mit Fokus darauf, was die Kundinnen und Kunden wollen. Wir sehen die Elektromobilität ganz klar als die Zukunftstechnologie - und wir erachten die Dekarbonisierung als wesentliche Verpflichtung unserer Gesellschaft.
Alle politischen Prognosen zum Hochlauf der Elektromobilität waren in der Vergangenheit zu optimistisch. Wir benötigen regelmäßige Realitäts-Checks, wie sich der Markt entwickelt und was das für die Vorgaben bedeutet. Neben attraktiven Produkten müssen die Rahmenbedingungen passen. Wir müssen in der Ladeinfrastruktur nachlegen, gerade im städtischen und ländlichen Raum. Wir brauchen günstigere Ladestrompreise. Und wir benötigen überzeugende Förderkulissen. Alle Faktoren müssen stimmen, damit Akzeptanz und Nachfrage weiter steigen. Der Volkswagen-Konzern ist bereit: Aktuell wird bereits jedes fünfte Konzernfahrzeug elektrisch angetrieben.
Nun hat es schon viele Autogipfel gegeben. Das war der erste von Bundeskanzler Friedrich Merz. Wann wäre das Stadium erreicht, dass Sie sagen, der CDU-Politiker ist ein Autokanzler?
O. Blume: Die Autoindustrie ist ein enorm wichtiger Teil der deutschen Industrielandschaft. Es sind gute Impulse gesetzt worden, auch mit dem Koalitionsvertrag. Wir hatten im Vorfeld einen guten Austausch mit Vertretern der Bundesregierung. Jetzt geht es darum, die Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Es wäre wichtig, dass Deutschland regulatorisch eine klare und gemeinsame Linie vertritt.
Wir wollen den Erfolg der Elektromobilität. Wir brauchen aber mehr Flexibilität beim Erreichen der Ziele. Das müssen wir in Brüssel geschlossen vertreten, denn Europa schaut auf Deutschland. Wir sind das Autoland Nummer eins und deshalb hat unsere Stimme und Haltung ein besonders großes Gewicht.
Herr Blume, Sie sind nicht nur VW-Konzern-, sondern auch Porsche-Chef. Der frühere Gewinn-Garant des Konzerns ist gerade aber schwer gebeutelt. Was sind die Gründe dafür? Wie kommen Sie da wieder raus?
O. Blume: Porsche ist von den veränderten globalen Rahmenbedingungen besonders betroffen. China und die USA sind die mit Abstand größten Einzelmärkte. Zusammen haben sie zu Hochzeiten rund 60 Prozent des Porsche-Volumens ausgemacht. In China ist der Luxusmarkt komplett eingebrochen. Ein Viertel des vorherigen Porsche-Gesamtvolumens ist allein dadurch nicht mehr vorhanden.
Auf der Unternehmensseite haben wir das Geschäftsmodell daher neu justiert. Und wir haben das Produktportfolio noch flexibler aufgestellt. Die Elektromobilität funktioniert hervorragend. Vielleicht ist Porsche sogar der erfolgreichste traditionelle Hersteller in der Transformation, mit allein 56 Prozent elektrifizierten Fahrzeugen in den ersten neun Monaten in Europa.
Trotzdem sehen wir sehr unterschiedliche Entwicklungen in den Weltregionen. Deshalb haben wir mit Blick auf die Wünsche unserer Kunden entschieden, unser Angebot um zusätzliche Verbrenner- und Plug-in-Hybrid-Modelle zu erweitern. Ergänzend zur E-Strategie. Alles belastet kurzfristig unsere Finanzen, ist aber mittel- und langfristig sinnvoll.
Herr Blume, seit gut drei Jahren sind Sie zugleich Chef von Porsche und Volkswagen. Wie bewerten Sie aktuell Ihre Doppelrolle? Welche Vorteile sehen Sie gerade noch - und welche Nachteile sind in der Zeit dazugekommen?
O. Blume: Diese Doppelrolle wurde bewusst gewählt. Bei der Restrukturierung des Volkswagen-Konzerns bringt uns diese Konstellation enorme Vorteile: In einem Unternehmen die Verantwortung zu tragen für die Technik, für die Prozesse, dort tief in das operative Geschäft involviert zu sein. Und zusätzlich übergeordnet im Volkswagen-Konzern richtige, strategische Entscheidungen zu treffen.
Sie haben im Februar angefangen, den Vorstand von Porsche umzubauen. Es gab mehrere Wechsel. Wann ziehen Sie sich von einem ihrer beiden Posten zurück?
O. Blume: Ich habe immer gesagt: Meine Doppelrolle ist nicht für die Ewigkeit ausgelegt. Wir haben den Generationswechsel im Vorstand bei Porsche bereits ganz bewusst begonnen. Er war langfristig vorbereitet. Wir haben ein starkes Vorstandsteam am Start - kompetente Kolleginnen und Kollegen, die in der Porsche-Kultur verwurzelt sind. Am Ende entscheiden die Aufsichtsräte der Volkswagen AG und der Porsche AG in der Frage der Doppelrolle.
Sitzt in dem Gremium schon Ihr potenzieller Nachfolger?
O. Blume: Dazu machen wir keine Aussagen. Und wie gesagt: Die Entscheidung über solche Fragen liegt am Ende beim Aufsichtsrat.
Nach ihrem Antritt als Porsche-Chef ging es bei dem Unternehmen jahrelang steil bergauf. In den letzten Jahren lief es aber nicht mehr ganz so gut. Sehen Sie dadurch Ihre Reputation bei den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch in irgendeiner Weise beeinträchtigt? Deren Rückhalt brauchen Sie ja auch als VW-Chef.
O. Blume: Ich persönlich spüre starken Rückhalt. Wir haben mit Porsche extrem erfolgreiche Jahre hinter uns. Wir haben in der Zeit von meinem Antritt bis zum Spitzenjahr 2023 den Umsatz verdoppelt, unser Ergebnis verdreifacht, den Cash-Flow vervierfacht. In acht von zehn Jahren gab es Rekorde. Dann haben sich die Rahmenbedingungen in kürzester Zeit verändert. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, als Kapitän auf der Brücke zu stehen und die ganze Erfahrung einzubringen. Und ich bin sicher, dass Porsche eine sehr robuste Zukunft haben wird.
Jetzt geht es darum, die aktuell neue und starke Produktpalette gezielt zu erweitern und mit konsequenter Kostenarbeit eine noch bessere Position für die Zukunft zu erarbeiten. In der Automobilindustrie gibt es nicht nur Sonnenschein. Es gibt auch mal stürmische Zeiten. In diesen befinden wir uns aktuell. Aber wir haben einen klaren Plan.
Da wir gerade bei Wetterprognosen für die Autoindustrie sind: Sie haben bei Volkswagen ein sehr großes Restrukturierungsprogramm durchgeboxt. Es geht um 35.000 Stellen. Reicht das? Oder wird es noch mal darum gehen, auch in den gesamten Konzernstrukturen - und nicht nur in den Marken - zu arbeiten? Wird es ein weiteres Sparprogramm geben?
O. Blume: Um eine erfolgreiche Zukunft dieses Unternehmens zu sichern, ist die Kostenarbeit entscheidend. Erst recht in stürmischen Zeiten. Wir sind im Konzern gerade dabei, unsere deutschen Marken - also Volkswagen, Audi und Porsche - noch robuster aufzustellen. Wir haben dafür gute Abschlüsse mit der Arbeitnehmervertretung erzielt und konzentrieren uns darauf, diese umzusetzen.
Wir müssen die Kapazitäten an die Realität anpassen. Der gesamte Absatz auf dem europäischen Markt ist in den vergangenen fünf Jahren um gut ein Fünftel zurückgegangen. Gleichzeitig drängen neue Wettbewerber in den Markt und es gibt von allen Herstellern mehr Produkte. Das erhöht massiv den Preisdruck. Wir passen unsere Kapazitäten schrittweise an. Bei der Marke Volkswagen beispielsweise um über 700.000 Fahrzeuge pro Jahr.
Zudem geht es um die Personalkapazitäten. Sozialverträglich sollen bei Volkswagen über die nächsten fünf Jahre mehr als 35.000 Stellen wegfallen, bei Audi 7.500, bei Porsche rund 4.000, bei unserer Software-Tochter Cariad rund 1.600. Damit kommen wir gut voran.
Ihre neuen günstigen Elektroautos wollen Sie in Spanien und Portugal produzieren. Ist der Standort Deutschland zu teuer?
O. Blume: Auf der Iberischen Halbinsel treffen Batteriezellfertigung, starke Lieferantenstruktur, hohe Produktivität und eine sehr gute Lohnkostensituation zusammen. Das verschafft uns die Möglichkeit, unsere neuen kompakten Elektrofahrzeuge zu einem erschwinglichen Preis in den Markt zu bringen - und damit die Elektromobilität für weitere Kundenkreise attraktiver zu machen.
Wegen dieser Vorteile haben wir uns entschieden, die Produktion dieser Modelle in Barcelona, in Navarra und in Portugal zu bündeln. Es geht dabei auch um die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Automobilproduktion.
Wie viel günstiger als in Wolfsburg können Sie ein Auto dort fertigen?
O. Blume: Unsere Werke in Spanien und vor allem Portugal können in den Fabrikkosten mit den Standorten in Osteuropa absolut mithalten - und sogar mit vielen chinesischen Werken. Es geht dabei nicht nur um das Lohnkostenniveau, sondern auch um weitere Faktorkosten wie Energie oder Produktivität.
Lassen Sie uns noch kurz über die Rahmenbedingungen und die Stimmung reden. In Deutschland vergeht aktuell keine Woche ohne Ankündigungen, Stellen streichen zu wollen - auch bei den Zulieferern. Alle sagen: Wir müssen mit weniger Menschen auskommen. Was ist eigentlich Ihre Erwartung an die neue Bundesregierung, was sie jetzt leisten muss, damit es in diesem Land wieder aufwärtsgeht?
Wir haben es selbst in der Hand, unser Land zu alter Stärke zurückzuführen. Das ist immer eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Unternehmen und der Gesellschaft. Der Welthandel wird nicht so zurückkommen, wie wir ihn über Jahrzehnte erlebt haben. Das heißt:
Wir müssen aus der Komfortzone heraus. Nach vorn geblickt haben wir aber auch große Chancen: Technologien entwickeln sich - und wir haben in Deutschland sehr motivierte, hoch qualifizierte Menschen und wir haben eine tolle Berufsausbildung. Unser Standort hat großes Potenzial. Jetzt geht es darum, die Ärmel hochzukrempeln. Zugleich bin ich überzeugt, dass Europa den eigenen Markt passend fördern muss.
Der Unmut in der Bevölkerung ist groß. Der Unmut ist aber auch in den Werkhallen von Volkswagen und in Ihrem Konzern groß. Man hört von der Furcht der IG Metall vor einer sogenannten blauen Welle, also unterstützenden Listen für die AfD. Ist das etwas, was Sie wahrnehmen, was Sie ernst nehmen?
O. Blume: Wir sehen natürlich eine Verunsicherung, die durch die Gesellschaft und damit auch durchs Unternehmen geht. Wir nehmen das sehr ernst. Für uns ist ohne jeden Kompromiss klar: Radikale Tendenzen, unabhängig von welcher Seite, haben bei uns in den Werkshallen nichts zu suchen.
Für Sie ist die AfD eine radikale Partei?
O. Blume: Wir stehen als Volkswagen-Konzern für Freiheit, Vielfalt und Zusammenhalt. Fortschritt und unser Erfolg als internationales Unternehmen beruhen auf diesen demokratischen Grundwerten. Und wir müssen gemeinsam alles daran setzen, dass sie uns uneingeschränkt erhalten bleiben. Für mich ist wichtig, den Menschen im Unternehmen eine Orientierung zu geben und eine Perspektive aufzuzeigen. Das sorgt für Klarheit und eine bessere Stimmung in unserer Gesellschaft und auch im Unternehmen.
Wir haben im Volkswagen-Konzern einen strukturierten Zukunftsplan, unsere Auftragseingänge sind positiv, wir sind mit Abstand größter Automobilproduzent Europas. Wenn wir uns gegenseitig unterhaken, werden wir auch in diesen anspruchsvollen Zeiten erfolgreich bestehen.