Die Zentrale befindet sich in Bochum, die weiteren Standorte Gelsenkirchen und Hattingen liegen ebenfalls im Ruhrpott. Dennoch: Liermann ist einer der klangvollsten Namen in der Sachverständigenszene mit bundesweiter Bedeutung und einer fachlich breit gefächerten Expertise, die ihresgleichen sucht.
94 Jahre Sachverstand – aus dem Ruhrpott für die Republik
Man mag es kaum glauben, aber das Unternehmen Liermann existiert seit mittlerweile 94 Jahren und war 1923 eines der allerersten Sachverständigenbüros, die es in Deutschland gab. Seit dem Tod von Klaus Liermann, dem Sohn des Firmengründers, im Jahr 2003 führt Ralf Graf die Geschäfte. Jetzt, 14 Jahre später, gelang ihm die wohl bedeutsamste Neuordnung des Unternehmens im Sinne einer langfristigen Zukunftssicherung: Eine neu gegründete Gesellschaft kaufte alle noch bestehenden Anteile der Familie Liermann sowie weiterer Gesellschafter auf.
Graf trimmt traditionelle Werte auf Zukunft und Innovation
Dass "SV Liermann" in den vergangenen fast eineinhalb Jahrzehnten, die bekanntermaßen zusätzlich geprägt waren durch scharfes Schadenmanagement und einen harten Umbruch beim klassischen Unfallgutachten, nie von seinem erfolgreichen Kurs abkam und sich sogar noch breiter aufgestellt hat, gilt in der Branche längst als die große persönliche Lebensleistung des amtierenden Geschäftsführers Ralf Graf. Im Ehrenamt war er in den zwölf zurückliegenden Jahren auch Präsident des Sachverständigenverbandes ZAK e.V. hat und sich in dieser Funktion nachhaltig nicht nur für zertifizierte SV-Qualität, sondern auch für einen bilateralen Interessenausgleich von Freiberuflern und angestellten SV großer Organisationen und Versicherungen eingesetzt.
Wo das Unternehmen Liermann heute steht und wie es nach dem aktuellen, gesellschaftsrechtlichen Umbau weitergeht, darüber führte AUTOHAUS-Schaden§manager mit Graf das nachfolgende Interview. Darin zeigt der Liermann-Chef deutlich auf, wie Sachverständigen-Zukunft auch heute – und vor allem morgen – machbar ist.
Diversifikation entscheidend
AH: Bei "SV Liermann", wie Ihre Auftraggeber gerne verkürzt sagen, haben sich gerade die Eigentumsverhältnisse maßgeblich geändert. Wie stellen Sie das Unternehmen für die Zukunft auf, Herr Graf?
R. Graf: Tatsächlich sind vor kurzem die Anteile der Erbengemeinschaft und einiger nicht mehr produktiv tätiger Gesellschafter an die G&H Beteiligungsgesellschaft verkauft worden. An dieser Gesellschaft, die auch die Anteilsmehrheit besitzt, bin ich zu 50 Prozent beteiligt. Vor gut drei Jahren haben wir begonnen, das Unternehmen strategisch breiter aufzustellen, um den zukünftigen Aufgaben gewachsen zu sein. Das Schadengeschäft ist aus vielen bekannten Gründen im Bereich des Sachverständigenwesens rückläufig. Beratung und Moderation sind heute gefragt. Gleichzeitig steigt der Bedarf im Bereich der technischen und der unfallanalytischen Gutachten. Außerdem bietet der Freizeitmarkt weitere Chancen für Sachverständige.
AH: Was genau ist dieser "Freizeitmarkt" und wie generieren Sie zusätzlich Auftragsvolumen?
R. Graf: Zunächst ist der Beratungsbedarf bei Privatkunden sehr hoch. Die Sachverständigenbüros Liermann haben im Ruhrgebiet einen hohen Bekanntheitsgrad und zudem ein neutrales Image. Darum ziehen Kunden uns bei der Beurteilung von Gebrauchtfahrzeugen - also Autos, Pkw, Lkw, Wohnmobilen und Motorrädern - hinzu. Gleichzeitig wächst der Oldtimer-Markt. Hier beraten unsere Experten bei Kauf, Restauration und Lagerung von Oldtimern und anderen hochwertigsten Fahrzeugen. Fast zeitgleich konnte sich Liermann Nautic stark etablieren. Unsere Fachleute sind in Schulung, Ankaufberatung, Wert- und Schadenfeststellung für Wasserfahrzeuge gefragt. Zudem führen sie Gas- und Sicherheitsprüfungen oder Reparaturbegleitungen durch. Einen weiteren Bereich in unserem Unternehmen machen Insolvenzverfahren und Erbstreitigkeiten aus.
Nutzung von Forschung und Lehre
AH: Ein breites Aufgaben-Repertoire, fürwahr! Bekanntermaßen ist das Unternehmen Liermann seit jeher auch auf unterschiedlichsten Ebenen bestens vernetzt. Wie sieht es da aktuell aus?
R. Graf: Das ist richtig, ja. Wir haben vom Grundsatz her alle technischen und fachlichen Möglichkeiten, um auch in der Schadenmanipulation und Aufklärung Sonderaufträge abzuarbeiten. Dazu nutzen wir nicht zuletzt unsere langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit mit Universitäten und Hochschulen. Darüber hinaus betreiben wir Qualitätssicherung für Prüforganisationen und die Autoindustrie und pflegen enge Kontakte zur Fachpresse, um auch hier beständig Präsenz innerhalb der Branche sowie gegenüber Endverbrauchern, damit Privatkunden zu zeigen.
AH: Warum ziehen nach Ihrer Ansicht Ihre Auftraggeber ein mittelständisches Sachverständigenbüro den großen Organisationen vor?
R. Graf: Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen haben unsere Auftraggeber direkten Kontakt zum Entscheider und somit einen unmittelbaren Ansprechpartner. Zudem sind die Sachverständigenbüros Liermann in der Regel flexibler als große Organisationen. Wichtig ist auch, dass wir unabhängig von Versicherungen und Automobilherstellern sind. Neutralität und Objektivität haben bei uns oberste Priorität. Daraus ergibt sich auch ein Teil unserer Expertise. Und nicht zu vergessen: Unsere Ingenieure haben den Anspruch und die Möglichkeiten, beispielsweise Motoren oder Getriebe selber zu zerlegen, zu vermessen und zu analysieren. So können unter anderem die Laufrichtung von Bauteilen in Verbindung mit Spuren, aus denen Verschleiß oder vorzeitige Defekte ausgelesen werden können, besser beurteilt werden. So erkennen unsere Sachverständigen beispielsweise Fakten, die bei einer Zerlegung in einem Fremdbetrieb nicht unbedingt auffallen würden.
Den Kunden begleiten und beraten
AH: Welche Unternehmenssparten werden Sie künftig stärken?
R. Graf: Ein klares Ziel ist, den Service für den Privatkunden auszuweiten, also mehr Kaufberatung und Fahrzeugprüfungen. Zudem haben wir massiv in unsere Technik investiert: Es wurden eine ganze Reihe von Testern verschiedener Automobilhersteller und ein 3-D-Vermessungsstand angeschafft. Für Plausibilitäts- und Kausalitätsprüfungen haben wir eine technische und eine unfallanalytische Abteilung, die beide sehr eng zusammenarbeiten. Wir lesen, wenn irgendmöglich, alle verfügbaren Steuergeräte aus und gleichen die Daten mit den Schilderungen der Beteiligten und anderen Fakten bei Unfallschäden und Diebstahlschäden ab. Oft können so auch Manipulationen festgestellt werden. Wir begleiten unsere Kunden insbesondere auch beim Kauf eines hochwertigen Fahrzeuges oder einer Yacht: Hier beurteilen, analysieren und bewerten unsere speziell darauf geschulten Sachverständigen und Ingenieure akribisch das jeweils vom Kunden favorisierte Objekt und sprechen dann klare Empfehlungen aus.
Abkehr von reiner "Blechbeschau"
AH: Werden Sachverständige künftig für Unfallschäden noch benötigt?
R. Graf: Langfristig wird sich der Markt rund um das Schadengutachten massiv verändern. Das einfache Standard-Gutachten ist ist immer weniger gefragt, als Beweismittel aber nach wie vor unverzichtbar. Die Technisierung, die Sensorik, die sich verändernden Eigentumsverhältnisse und die Schadensteuerung werden sich ebenso negativ in Auftragszahlen niederschlagen. Zudem wird sich die starke Digitalisierung und Automatisierung auf den Bereich der Schadengutachten auswirken. Aber genau darauf haben sich die Sachverständigenbüros Liermann bereits jetzt eingestellt. Der reine Blechbeschauer wird immer seltener gefragt sein. Demgegenüber nehmen Ursachenforschung und Schadenanalyse an Bedeutung massiv zu, weshalb wir uns intensiv mit der Datenanalyse beschäftigen. Auf diesem Gebiet kooperieren wir vorwärtsorientiert auch mit ausgewiesenen Spezialisten aus allen Bereichen der Automobiltechnik. Die objektive Analyse von Unfällen, technischen Ausfällen und die damit verbundene Schadenhöhe bleibt die ureigenste Arbeit der zertifizierten Kfz-Sachverständigen. Wenn das Unternehmen Liermann es schafft, sich diesen Anforderungen langfristig zu stellen – und dass dies gelingt, davon bin ich absolut überzeugt –, dann haben wir als Sachverständige nach wie vor eine gute Zukunft.
Nautik, Hochvolttechnik und mehr
AH: Sie sehen Ihr Unternehmen also zukunftssicher aufgestellt, wie man Ihren Worten unschwer entnehmen kann.
R. Graf: Ja, absolut. Unser Unternehmen verfügt über die technischen und personellen Voraussetzungen, um am zukünftigen Markt zu bestehen. Alleine in der Forensik wurden drei neue Mitarbeiter eingestellt, zudem verstärken wir uns bei Liermann Nautic und in der gesamten Verwaltung. Technisch bleiben wir weiter auf der Höhe der Zeit, wir forcieren die Kooperationen mit Hochschulen und anderen Spezialisten.
Die Liermann-Sachverständigen sind in den Bereichen Hochvolt, moderne Werkstoffe und Sensorik geschult, viele Mitarbeiter haben ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Dass all unsere Schadensachverständigen zertifiziert sind, ist in unserem Unternehmen ebenfalls eine Selbstverständlichkeit und möchte ich daher nur der Vollständigkeit halber noch mit erwähnen. Unsere Abteilungen Technik und Unfallanalyse wachsen seit Jahren, der Auftragsbestand steigt in dem Bereich noch immer an. Und das sind meiner Einschätzung nach die besten Bedingungen, um zukünftig am Markt bestehen und wachsen zu können.
AH: Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Graf! (wkp)